Reportage

Gesellschaft & Kultur #Myopeniftar: Ramadan kosmopolitisch

Fastenbrechen in Görlitz ©shutterstock.com/Matthias Wehnert

Mental und körperlich bereiten sich aktuell Milliarden von Muslim*innen auf die Sichtung der nächsten Neumondsichel vor. Warten müssen sie noch bis zum Abend des 10. März, dann ist es wieder so weit: Der Ramadan beginnt. 

 

Alle Jahre wieder

 

Der Ramadan ist als religiöses Ritual mittlerweile weitläufig bekannt und alljährlich für Viele der knapp 2 Milliarden Muslim*innen auf der Welt eine asketische Herzensangelegenheit. Es sind Tage geprägt von Achtsamkeit, Entschleunigung und tiefer spiritueller (Rück-)Besinnung. Abseits des Verzichts auf Essen und Trinken von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang bietet der Zeitraum eine einzigartige Gelegenheit, die persönliche Beziehung zu Allah zu stärken, Gemeinschaft und Familie zu genießen als auch Nächstenliebe, Mitgefühl und Gastfreundschaft nach außen zu tragen. Für Nicht-Muslim*innen ist Ramadan nicht selten eine black box; eine fremde Praktik, über die das eigene Bild durch geringe (Alltags-)Erfahrung und Medien gezeichnet wird. Blickt man hinter die Kulissen, zeigt sich: Kulturelle Vielfalt, Individualität und ein erfrischend moderner Wind!

 

Der Hintergrund

 

Im Kern dienen die 30 heiligen Fasten-Tage der Erinnerung an die Offenbarung des Koran - der mystisch betrachtet - in dieser Zeit von Allah zu den Menschen herabgesandt wurde. Im sogenannten Gottesmonat, dem 9. Monat des islamischen Kalenders. Grundsätzlich gibt der Koran als spiritueller Lebensleitfaden den Gläubigen sowohl für ethische, moralische als auch alltagspraktische Situationen Hilfen und Anweisungen, verschafft ihnen durch etablierte Abläufe Orientierung und Stabilität.

 

Während des Ramadan jedoch sind Muslime dazu angeraten, ihren Alltag mit Routinen und Handlungen zusätzlich anzureichern. Dazu zählen im Wesentlichen das tägliche Fasten, ein zusätzliches Nachtgebet (Tarawih), intensive Koranstudien, sowie Selbstreflexion und Handlungen der Nächstenliebe. Gleichzeitig gilt es auf weltliche Genüsse wie klassischerweise das Rauchen, das Trinken von Alkohol und sexuelle Aktivität zu verzichten. Ist ein Gläubiger auf Reisen, krank oder sonstig eingeschränkt, ist auch Unterbrechung oder Pause möglich, wobei die Option „Nachzufasten“ durchaus üblich ist. Die Annahme und Auslebung der Pflichten und Ratschläge variiert nicht nur individuell, sondern auch nach Land, kulturellem Hintergrund und lokalen Bräuchen: In Indonesien, dem Land mit der größten muslimischen Bevölkerung und in dem Ramadan gemeinhin Puasa genannt wird, kehren viele Städter zu den abschließenden Feierlichkeiten in ihre Heimatdörfer zurück. In der Türkei ist es gängig, das tägliche Fastenbrechen mit traditioneller Linsensuppe zu beginnen, in Marokko wiederum mit würziger Harira, der beliebten Tomaten-Kichererbsen-Suppe.

 

Trends und Innovationen

 

Die Vielfalt wie Ramadan in unterschiedlichen Kontexten ausgelebt wird, weckt nicht selten in Nicht-Muslim*innen und insbesondere Reisebegeisteten Neugier. Zu Recht, es ist ein eigenes Paralleluniversum voller Aufregung, Disziplin, Emotionsschulung und: Gemeinschaftlicher Freude.


Pasar Ramadan, die nächtlichen indonesischen Ramadan Märkte, sind prall gefüllt für Scharen von Hungrigen. Würzige duftende Satay-Stände reihen sich an Meere von Süßigkeiten aus Süßkartoffelklößen, Schichtkuchen und Kokosmilchdesserts. Dazu gibt es Reis in allen Variation– das meiste halal und ausgelassen konsumiert. Die Stimmung auf den Pasars ist einzigartig. Weiter nordwestlich in Ägypten freuen sich insbesondere die Kinder über die vielen leuchtenden Fanous, die traditionellen Ramadan Laternen auf den Straßen. Dubai zeigt sich wie immer innovativ und wohltätig, hier haben sich sogenannte Ramadan Fridges,etabliert: Über die Stadt verteilte Kühlschränke für Bedürftige, die mit kostenlosen Lebensmitteln gefüllt werden. In den USA und in Europa, wo Muslime eine religiöse Minderheit bilden, nutzen viele Gemeinschaften durch öffentliche Iftar-Feste in Parks und Informationsveranstaltungen die Gelegenheit, um Brücken zur nicht-muslimischen Gesellschaft zu bauen.

 

Ramadan wird zeitgemäß gelebt: Hashtags wie #MyOpenIftar setzen sich für eine Gemeinschaft aller Glaubensrichtungen ein und werden gerade von jungen Menschen intensiv genutzt. Für Angestellt bieten viele Unternehmen weltweit während des Ramadan flexible Arbeitszeiten oder Homeoffice an, Apps wie Muslim Pro oder SAUM erleichtern die Erinnerung an das Gebet und helfen dabei, das Fasten zu tracken. Kann nicht zu der Familie gereist werden, werden virtuelle Iftar-Feste via Zoom oder Google meet abgehalten.

 

Ein weiterer Trend geht trotz der geschätzten Opulenz des Fastenbrechens in Richtung gesunde Ernährung und Nachhaltigkeit, indem versucht wird beispielsweise Nahrungsmittelverschwendung zu vermeiden oder traditionelle Gerichte in leichterer Form neu zu interpretieren. Ergänzend richten sich verschiedene speziell angepasste Fitnessprogramme an die veränderte körperliche Konstitution, Kochkurse werden angeboten und Informationsveranstaltungen geben Tipps zum optimalen Gesundheitsmanagement.

 

Der Ramadan, ein Monat des Glaubens, der Besinnung und Gemeinschaft kann auch Nicht-Muslimen jedes Jahr die Möglichkeit bieten, in eine andere inspirierende kulturelle Welt einzutauchen. Während die traditionelle Praxis aus Fasten, Gebet und Nächstenliebe weiterhin den Kern des heiligen Monats bilden, zeigen die modernen Justierungen und Ideen wie flexibel und vielfältig die muslimische Gemeinschaft und insbesondere die muslimische Jugend, Herausforderungen und Chancen des 21. Jahrhunderts begegnet. Wenn digitale Technologien und Offenheit einst starre Abläufe den Gegebenheiten der modernen Zeit anpassen, kann auch eine neue Ramadan-Tradition wachsen. Zeitgemäß, verwurzelt, weltoffen und heilig.


Autorin: Lea Katharina Nagel

 

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