Reportage

GesellschaftFlüsterndes Streetfood

Ein Straßenverkäufer präsentiert »Tajine« ©shutterstock.com/David MG

Von den USA über Lateinamerika, Europa bis nach Asien. Streetfood boomt nicht erst seit den 2000ern. Doch heute ist es für eine Gruppe von Menschen der ausschlaggebende Grund um zu reisen. In der Mission, die verschiedenen Geschmäcker, Aromen, Düfte und Geschichten des Straßenessens zu erkunden.

 

In Klein- und Großstädten sieht man sie: Stände, Wägen und Verschläge, die warme und kalte Snacks rund um die Uhr anbieten. Doch ist Streetfood eine Erfindung der modernen Gastronomie-Szene? Wohl kaum. Bereits im antiken Griechenland und Rom, an historischen Orten wie Pompeji oder Alexandria deuten Spuren auf die Existenz von der damaligen Version einer Imbissstube hin. Kleine Räumlichkeiten mit einer zur Straße ausgerichteten Theke. Ihr einfaches Angebot wie gebratener Fisch wurde von Vorbeiziehenden im Stehen verzehrt. Heute glänzen Straßenköche mit exorbitanter Vielfalt, Kreativität, Kunst und Internationalität -  es gibt Gourmethappen in U-Bahnhöfen, Weltküche in New York, Falafel gehören mittlerweile in ganz Europa zum Standradrepertoire. Doch trotz Glamour, Pepp und Trend: Manche Straßengerichte sind gerade aufgrund ihrer Geschichte, ihrer Schlichtheit und kulturell verwurzelten Zubereitungsart einzigartig. Dazu zählt die marokkanische Tajine, japanische Takoyaki und der Wiener Käsekrainer.

 

Marokko, »Tajine«

 

Auf einer Marokko-Reise ist es nahezu unmöglich an der Tajine vorbeizukommen. Das Gargericht stammt aus der Kultur der Berber, dem über ganz Nordafrika verbreiteten Nomadenvolk, dessen Nachkommen heute mehrheitlich sesshaft sind. Schon vor tausenden von Jahren verwendeten sie auf ihren Touren durch karges Wüstenland ein braun-rötlich gebranntes Lehmgefäß für die Nahrungszubereitung – die zweiteilige Tajine. Sie besteht aus einer recht flachen Schüssel, auf die ein spitz zulaufender runder Deckel mit kleinen Löchern gesetzt wird. An der Spitze befindet sich eine kleine Kuhle, in die bei Verwendung regelmäßig kaltes Wasser zur Kühlung gefüllt wird. Das Wort »tajine« wird sowohl für das Kochgeschirr als auch das Essen selbst verwendet.

Die Zubereitung ist recht simpel, aber zeitintensiv. Über einem kleinen Holzfeuer werden Fisch, Hammel- oder Rindfleisch, Meeresfrüchte, diverse Gemüsesorten und Gewürze zusammen in Olivenöl langsam gedünstet. Diese ursprüngliche Variante sieht man noch recht häufig auf den Straßen, Einheimische verwenden sie in ihren Wohnungen mittlerweile auch auf ganz normalen Kochherden. In einer Tajine verteilt sich die Wärme perfekt und gleichmäßig. Die Zutaten bleiben knackig, zerfallen nicht, entfalten jedoch voll ihre gespeicherten Aromen. Daraus entsteht eine für das Gericht charakteristisch natürlich kräftige Würze. Tajine ist grundsätzlich ein beliebtes marokkanisches Gericht. Nicht verwunderlich also, dass auch die Speisekarten sämtlicher Restaurants sie aufgelistet haben, obwohl der Straßenkonsum einen schlagenden und trivialen Vorteil genießt: Das Beobachten der Zubereitung. In Lokalen wird die Tajine mancherorts lediglich als Serviergeschirr genutzt. Gekocht wird in Pfannen oder Töpfen, eine traditionelle Präsentation kommt jedoch besonders bei Touristinnen gut an. Wahrscheinlich ist es, dass man auf die lange Garzeit von gut und gerne einer Stunde verzichten möchte. Beschleunigung ist nicht möglich, das Gefäß würde ansonsten zerspringen.

Die vielen Kompositionen von fleischlastig bis vegetarisch/vegan werden alle mit reichlich Brot gereicht. Gängig sind beispielsweise »Kefta«, die marokkanische Frikadelle, in Tomatensud, Rindfleisch mit Pflaumen, Fisch mit Oliven und „toppings“ aus Mandeln, Sesam und Datteln.

 

Japan, »Takoyaki«

 

Kleine, runde Bällchen, die mit viel Geschick zubereitet werden – das sind Takoyaki. In japanischen Metropolen wie Osaka oder Tokio stolpert man unentwegt über die -wörtlich übersetzt - »Gebratene Krake«. Besonders häufig sind die kleinen Verkaufsläden in oder in der Nähe von U-Bahnhöfen angesiedelt. Wie der Name bereits vermuten lässt, handelt es sich bei Takoyaki um kleine Stücke Oktopus, die in einem Teigmantel frittiert werden. Darüber wird sog. »Takoyaki« Sauce, Mayonnaise, getrockneter Seetang und Bonito-Flocken gegeben. Schmale Streifen von rotem Ingwer und Frühlingszwiebeln verleihen Pepp und eine angenehme Schärfe.

Die Wurzeln des legendären Streetfoods liegen nicht auf der Straße, sondern wanderten erst dorthin: Eine viel erzählte Geschichte beginnt 1933 in dem Restaurant Aizuya im südwestlichen Osaka. Der damalige Besitzer Mr. Tomekichi Endo entwickelte sog. rajioyaki, aus ihnen entstanden 1935 dann die klassischen Takoyaki wie man sie heute kennt. Unaufhaltsam verbreiteten sie sich im 20. Jahrhundert über den gesamten Inselstaat und entdeckten die Straße für sich. Damals von Endo als Kindersnack entwickelt, gelten sie bis heute in der japanischen Gesellschaft nicht als vollwertige Mahlzeit. Takoyaki sind also der Inbegriff einer Mahlzeit für Zwischendurch.

Für die Zubereitung braucht es im Wesentlichen ein Utensil: Ein mit zahlreichen kleinen halbrunden Vertiefungen ausgestattetes Brateisen. Im Prinzip funktioniert das Ganze wie bei einem einseitigen Waffeleisen, doch ist ein bisschen mehr Geschick, Fingerspitzengefühl und eine Menge Übung gefordert. Mit zwei Stäbchen wird der eingegossene Teig so gewendet, dass das Ergebnis nicht nur halbrund, sondern – wie für Takoyaki typisch – rund, knusprig und gold-gelb wird.

Die traditionelle Variante mit Oktopus wurde heute durch Füllungen mit Tofu und diversem Gemüse ergänzt. Eine Portion umfasst 6 bis 8 Stück, gegessen wird mit Zahnstochern.

 

Wien, »Der Käsekrainer«

 

Im Volksmund auch als Eitrige bekannt, besticht der Wiener Käsekrainer weniger durch Raffinesse, als durch Tradition. Die groben Schweinefleischwürste mit einem Käseanteil von bis zu 20% sind in den vielen Würstelständen der österreichischen Hauptstadt zuhause. Ob gebraten, gekocht oder gegrillt, serviert werden sie mit gehobeltem Meerrettich, Senf, einer Essiggurke oder eingelegten Peperoni. Dazu gibt es eine unspektakuläre Weißbrotsemmel. 

Die Anfänge der Verkaufsstände des bei TouristInnen und Einheimischen beliebten Streetfoods, liegen weit zurück – beginnen in der kulturell prägenden k.u.k. Monarchie und können getrost als eine Art Sozialreform beschrieben werden. Ausgebrütet von damaligen Entscheidungsträgern, um Kriegsinvaliden eine Einkommensquelle zu ermöglichen. Allerdings wurde lange Zeit keine Stände gestellt, sondern mobile Verkaufswagen. Erst in den 1960er Jahren fasste die kulinarische Institution dann langsam Fuß, auch die Fleisch-Käse-Variante kam später. Angeboten wurde in heißem Wasser gekochte Burenwurst.

Die Stände von heute haben ihr Repertoire oftmals durch Falafel, Dürüm oder Pizza  ergänzt, das Aushängeschild ist und werden wohl die »Würstl« bleiben. Das zurecht: Streetfood wird häufig mit fernen Ländern und exotischen Küchen assoziiert, doch der Wiener Käsekrainer ist ein Musterbeispiel für traditionell europäisches Streetfood.

Ob Tajine, Takoyaki oder Käsekrainer. Die internationalen Straßen- und Garküchen erzählen mehr über ein Land und eine Kultur als das bloße Auge erkennen mag. In der Heimat und der Ferne, visionär oder traditionell. Bei der Entdeckung und dem Konsum von Streetfood geht es nicht nur darum, was gegessen wird, sondern auch wie, wo und warum. Zu beobachten auf welche Weise Menschen weltweit essen, zuzuhören welche Geschichten sich um die Entstehung ranken und bei der Zubereitung zuzusehen -  so öffnen sich Türen zu außergewöhnlichen Erlebnissen.

Autorin: Lea Katharina Nagel 

 

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