Reisen

ReportageDer universelle Mensch

Reisen schult unsere Erfahrungen & individuellen Kompetenzen @shutterstock.com/Marat Lala

Besuchen wir andere Länder, begegnet uns immer wieder die Frage nach Verbindung und Verständigung. Forscher und Gelehrte, von der griechischen Antike bis in die heutige computergestützte Wissenschaft, haben stets versucht universelle Geheimnisse und Gemeinsamkeiten des Menschen zu entschlüsseln. Ist es ihnen gelungen? Und welche Bedeutung hat das Reisen dabei?

 

Knapp 8 Milliarden Menschen leben auf diesem Planeten, verteilt auf 195 Länder. Darunter sind unzählige Geschlechter, alte wie junge Menschen, Greise und Babys. Sie alle bevölkern diesen Planeten, die einen sind krank, andere gesund, von unvorstellbarer Armut oder wahnwitzigem Reichtum. Sie leben auf Inseln, ziehen durch die Wüsten, existieren in eisigen Kälten, blicken aus gigantischen Hochhäusern und vegetieren in winzigen Blechverschlägen.

Die Menschheit markiert Extreme. Betrachtet man diese, ist es manchmal schwer vorstellbar Gemeinsamkeiten zu finden - außer die grundsätzliche Klassifikation als homo sapiens. Nach dieser Systematik Darwins zählt unsere Art zu den Menschenaffen, einer Form der höheren Säugetiere. Spuren eines archaischen homo sapiens, des homo, sind fossil belegt und weisen 300.000 Jahre zurück nach Afrika. Wir haben also schon einige Jahre „auf dem Buckel“. Es sind unser aller Vorfahren. Homo sapiens – bedeutet: Der weise, verstehende oder auch verständige Mensch.  

 

Charaktere, Persönlichkeiten und Beziehungen werden durch Sozialisation und Kultur geformt. Wer wir sind, wie wir uns verhalten, welche Sprache wir sprechen, welchen Werten wir uns verschreiben, wovor wir Angst haben, was wir essen, was wir trinken und was wir ehren, wird geprägt. Geprägt durch unser Umfeld, durch unser Erleben, durch unsere Erfahrungen. Was wir im Laufe unseres Lebens hören, sehen, schmecken und allen voran fühlen macht uns zu dem, was wir sind.

Wissenschaftliche Zweige wie die Anthropologie, die Ethnographie, Cultural Studies., die Psychologie, die Biologie oder Soziologie versuchen seit jeher das Mysterium Mensch zu entschlüsseln.

Heute ist man gewiss, den Menschen als rein soziokulturelles Wesen zu begreifen, wäre kurzsichtig. Was eint uns also? Hier kommt Persönlichkeit, Verständigung und nonverbale Kommunikation in das Spiel. Verschiedene Modelle, Untersuchungen und Ergebnisse weisen darauf hin: Es gibt sie, die universellen Gemeinsamkeiten…und auch wieder nicht.

 


Die menschliche Persönlichkeit: Das Big Five Modell

 

Zu Beginn des weltbekannten Big-Five Modells steht die Frage nach der Persönlichkeit eines Menschen: »Wer bin ich? Wie bist du? Ängstlich, kreativ, mitfühlend, selbstsüchtig oder aggressiv?». Haben wir alle die gleichen „Seiten“ in uns?

Diese Kategorisierung der Persönlichkeitsentschlüsselung, auch OCEAN-Modell genannt, wurde von den US-Amerikanischen Psychologen Gordon Allport und Henry Odbert in den 1930er Jahren entwickelt. Mit erheblich viel Plackerei.

Die neugierigen Forscher waren überzeugt, dass sich alle existierenden Charaktereigenschaften des Menschen in der Sprache niederschlagen – man musste ja eine Beschreibung finden. So machten sie sich an ein Wörterbuch und extrahierten alle persönlichkeitsbeschreibenden Merkmale: Das Ergebnis waren 17953 Begriffe.

Bei genauerer Betrachtung, wurde offensichtlich, dass sich Vieles überschneidet. Und so wurde verdichtet und verdichtet. Bis schließlich 5 zentrale Wesensmerkmale oder besser Wesensdimensionen übrig blieben:

 

  • Offenheit & Aufgeschlossenheit: Wie sehr lässt man sich auf neue Erfahrungen ein? Wie stark hängt man an „Altbewährtem“?
  • Gewissenhaftigkeit & Perfektionismus: Wie genau oder auch „locker“ geht man an Aufgabenstellungen heran?
  • Geselligkeit & Extraversion: Bleibt man lieber alleine oder fühlt sich in Gesellschaft wohler?
  • Empathie, Verträglichkeit & Kooperationswille: Überwiegen eigene Interessen oder die Interessen der Mitmenschen bzw. einer Gruppe?
  • Emotionale Labilität, Neurotizismus & Verletzlichkeit: Ist man mehr bestimmt von Ängstlichkeit & Nervosität oder ruhig & besonnen.

 

Nach Allport & Odbert kann die Persönlichkeit jedes Menschen anhand der Ausprägungen in diesen 5 Dimensionen beschrieben werden. Das OCEAN Modell wurde bis heute in tausenden von Studien genutzt und belegt. Es gilt gemeinhin als kulturstabil und unabhängig.

 


Der menschliche Ausdruck: Gestik und Mimik

 

Wir kennen das Gefühl, wenn wir reisen. Durch manche Ausdrücke können wir uns unabhängig von Sprache und Kultur verständigen, unsere Emotionen und Pläne zeigen, Fragen stellen, sodass ein Gegenüber uns versteht. Barrieren überwinden. Schon im 1. Jhdt. nach Christus beschrieb der Gelehrte Quintilian eine in spezifischer Rhetorik ausgedrückte, natürliche Kommunikation. Doch spätestens seit den großen Seefahrern und Entdeckern – sie waren gemeinhin männlich – herrschte die Vorstellung vor, dass es sie gibt: Die rein menschliche Geste, die universelle Sprache.

Über Kilometer und Kulturen hinweg, ist man heute überzeugt: Wie wir Ekel, Angst, Wut, Trauer, Freude oder Überraschung mimisch in die Welt bringen, ist über Grenzen hinweg einheitlich deutbar. Zumindest in Ansätzen. Um welche handelt es sich?


Allen voran steht das Lachen: Es gilt wohl als einer der mächtigsten und stabilsten Kommunikationsmittel. Ist es authentisch, strahlen die Augen, es bilden sich Lachfältchen durch den dortigen Ringmuskel. Meinen wir es nicht ehrlich und ist es aufgesetzt, fehlen diese Falten. Über Lebensarten, Zivilisationen und Länder hinweg wirkt das authentische Lachen grundsätzlich friedensstiftend, sympathisch, einend und positiv.

Der Kuss: Ebenso einend ist die Geste des Kusses. Ob auf die linke oder rechte Wange, auf den Kopf, die Stirn oder die liebende Berührung zweier Lippen. Es ist ein Zeichen von Nähe und einer gewissen Intimität. Drückt Zuneigung und Wohlwollen aus. Staatsoberhäupter, Freunde, Liebende oder Großeltern nutzen dieses Zeichen, um (tiefe) Sympathie auszudrücken.

Die Verbeugung: Das Verbeugen, von der tiefen Niederwerfung bis zum bloßen Senken des Kopfes, gilt als Zeichen des Respekts, der Unterwerfung oder des Dankes. SchauspielerInnen verbeugen sich, Kontrahenten verbeugen sich, unterdrückte Frauen halten ihre Augen gen Boden gerichtet. Ob in mehr gewaltsamer Hinsicht oder freiwillig ehrerbietend: Das ritualisierte Bücken beschwichtigt, sänftigt Beziehungen, drückt ein zwischenmenschliches Verhältnis oder Kräftegewicht aus

 

Dann gibt es da noch das Kopfschütteln, Stirnrunzeln, das Heben der Brauen, aufgerissene Augen oder die herausgestreckte Zunge. Diese Signale galten einst als Zu-oder Abstimmung, waren dem Ausdruck von Ekel und Überraschung zugeordnet, wurden als Aggressivitätsmerkmal klassifiziert. Doch spätestens seit Albert Einsteins provozierendem Foto wissen wir, dass es ganz so leicht nicht ist und die kulturelle Bedeutungszuschreibung geprägt werden kann und: Sich verändert.

 

Ob durch Modelle wie die Big Five oder das unermüdliche Suchen nach universellen Gesten. Irgendwie hat der Mensch es immer geschafft, Brücken zu bauen, interkulturelle Freundschaften zu schließen und sich mitzuteilen. Und das wird er auch weiterhin. Ob durch Emojis oder einen Handschlag, ob durch Introvertiertheit oder Aufgeschlossenheit: Wir nähern uns dem Mysterium, doch der homo sapiens wird immer eine kleine Blackbox bleiben. Gehen wir auf Reisen, ob in Europa oder in ferne Länder, können wir einen eigenen Wortschatz entwickeln, Erfahrungen über Persönlichkeiten sammeln und selbst lernen.

Es bleibt also dabei, der Mensch ist ein Individuum. Was ihn eint ist das Mensch-Sein.

Autorin: Lea Katharina Nagel

 

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