Eine Geschichte abseits jeglicher KomfortzoneVerfluchte Berge

»Ich wollte jetzt dorthin, in genau diese Wildnis wollte ich, koste es, was es wolle! Ich war aufgeregt und malte mir aus, wie es dort oben sein würde. Gleichzeitig kam mir das alles nicht ganz geheuer vor. Es war zu schnell passiert, und zudem, das musste ich zugeben, lag diese Hütte außerhalb meiner Komfortzone, weit außerhalb.«

Jörg Martin Dauscher hatte seinen Wohnsitz in Deutschland aufgegeben und Sommer sowie Herbst 2020 in Südalbanien verbracht, wo er auf Dauer ein Haus angemietet hatte. Als überraschenderweise sein Visum nicht verlängert wurde und mitten in der Corona-Pandemie sämtliche Grenzen geschlossen waren, musste ein Ausweg her. Dieser Ausweg leitete Jörg Martin Dauscher nach Prizren, die zweitgrößte Stadt des Kosovo. Statt im heimischen Deutschland zu überwintern, folgt er dem Rat seines Freundes Edis und lässt sich auf ein außergewöhnliches Abenteuer ein: Eine einsame Berghütte in 2.000 Metern Höhe – mitten im verschneiten Nirgendwo.

»Also, wenn schon Isolation, dann bitte richtig, dachte ich«

Die Realität der kosovarischen Wildnis

Den 100 Meter von der Hütte entfernten Generator anwerfen, Tierspuren lesen – das lernt der Hüttenanfänger schnell. Was aber nicht zu ahnen ist: anhaltender Schneefall wird ihn von allem abschneiden. Das heißt kein Kontakt zur Außenwelt, genauso wie kein Lebensmittelnachschub. Kurz überfällt ihn Unruhe angesichts des Allein- und Ausgeliefertseins, doch dann akzeptiert er, was eh nicht zu ändern ist und findet zu seinem Erstaunen Leichtigkeit und Ruhe. Die Verfluchten Berge im Kosovo wurden nicht etwa von Jörg Martin Dauscher selbst so getauft, sondern tragen, wie der Zufall es will, übersetzt tatsächlich ebendiesen Namen.

Leseprobe

»Meine Einschätzungen, meine Hochrechnungen, meine Pläne – nichts davon war aufgegangen, alles hatte sich im Angesicht der übermächtigen Natur in das zurückverwandelt, was es war: bloßes Spiel, reine Hybris. Mir ging es wie den Tannen, auch ich war den Gezeiten des Wetters ausgesetzt, zog mich zusammen und dehnte mich wieder aus, je nach den Umständen. Was ich jedoch davon hielt, was ich wollte oder mir wünschte, ausmalte oder beklagte – es war bedeutungslos, es stand nicht in Bezug zu dieser Welt. Trotzdem fühlte ich mich weder unbedeutend noch ohnmächtig. Ich fühlte mich in der Weite und der Macht dieser Berge aufgehoben. Nichts hatte ich ihnen entgegenzusetzen, alles hing von ihnen ab. Ich war niemand mehr und alles zugleich, denn es gab diese Grenze nicht mehr, die mich von der Umgebung trennte. Ich hatte vor Wochen einen Austausch begonnen, in dessen Verlauf die dünne Membran zwischen innen und außen erst durchlässig geworden war, dann überflüssig. Will man nicht genau das, wenn man in die Natur geht? Meine Einschätzungen, meine Hochrechnungen, meine Pläne – nichts davon war aufgegangen, alles hatte sich im Angesicht der übermächtigen Natur in das zurückverwandelt, was es war: bloßes Spiel, reine Hybris. Mir ging es wie den Tannen, auch ich war den Gezeiten des Wetters ausgesetzt, zog mich zusammen und dehnte mich wieder aus, je nach den Umständen. Was ich jedoch davon hielt, was ich wollte oder mir wünschte, ausmalte oder beklagte – es war bedeutungslos, es stand nicht in Bezug zu dieser Welt. Trotzdem fühlte ich mich weder unbedeutend noch ohnmächtig. Ich fühlte mich in der Weite und der Macht dieser Berge aufgehoben. Nichts hatte ich ihnen entgegenzusetzen, alles hing von ihnen ab. Ich war niemand mehr und alles zugleich, denn es gab diese Grenze nicht mehr, die mich von der Umgebung trennte. Ich hatte vor Wochen einen Austausch begonnen, in dessen Verlauf die dünne Membran zwischen innen und außen erst durchlässig geworden war, dann überflüssig. Will man nicht genau das, wenn man in die Natur geht?«

 

»Also, wenn schon Isolation, dann bitte richtig, dachte ich« Eine Geschichte von einem Mann, der eingeschneit wurde und das Fürchten verlernte

 

Der Autor

Jörg Martin Dauscher wurde in Mittelfranken geboren, hat lange in Berlin gelebt und dort als Weinhändler gearbeitet. Inzwischen verbringt er die meiste Zeit des Jahres als Ausländer: in Georgien, in Albanien oder in Griechenland. Er ist der Meinung, jeder sollte zumindest ein Zweitland haben, wenn nicht gar ein drittes und ein viertes.

 

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