Ein mitreißendes ErstlingswerkDer Buchladen am Ende der Welt

© Christian Bazlen

„Manchmal dauert es sehr lange bis man sein Zuhause findet, aber wenn man Glück hat, kommt man irgendwann dort an. So wie ich.“

Es gibt Geschichten, die müssen geschrieben werden. So eine Geschichte ist das unglaubliche Leben von Ruth Shaw, deren außergewöhnliches Erstlingswerk nun im Dumont Reiseverlag erscheint. Eine wahre Geschichte über ein abenteuerliches Leben und die Liebe zum Lesen.

Am anderen Ende der Welt, im Süden Neuseelands, steht ein winziger Buchladen – bunt bemalt, mit alten Schulbänken ausgestattet und Regalen voll unterschiedlichster Bücher. Nach einem ereignisreichen Leben sind Ruth Shaw und ihr Ehemann Lance hier, in der Kleinstadt Manapōuri, sesshaft geworden. Mit 70 eröffnete Ruth The Wee Bookshop, wie sie selbst sagt „als Zeitvertreib für eine Rentnerin“. Mittlerweile besteht er aus drei kleinen Häuschen mitten auf einem bewaldeten Grundstück – ein großes Schild an der Ecke Home Street/Hillside Road verkündet »GEÖFFNET«.

Ein Zeitvertreib, der einen bezaubernden und magischen Ort geschaffen hat. Ruths Buchladen zieht unterschiedlichste Charaktere aus aller Welt an, Kinder, Reisende, Suchende und Findende. Doch hier im abgelegenen Fjordland anzukommen und glücklich zu sein – das ist bei ihrem bewegten Leben alles andere als selbstverständlich. Ruth Shaw wurde 1941 geboren und wuchs in Christchurch auf. Schon früh musste sie Trauer, Schmerz und das harte Leben kennenlernen – Prägungen, die ihr Leben formten: Als unverheiratete junge Frau wird ihr Kind zur Adoption freigeben – ohne, dass sie es je gesehen hat. Das zweite stirbt kurz nach der Geburt. Unerwartet findet sie 1967 ihre große Liebe und verliert sie gleich darauf wieder…

„Mein Gegenmittel gegen Trauer waren mehr Abenteuer und mehr Risiken. Ich fürchtete nichts. (…) Mir war bewusst, dass Chaos zur Norm geworden war. Die einzige Möglichkeit voranzukommen war, meine Vergangenheit auszublenden, mich auf die Zukunft zu konzentrieren und weiterzumachen.“

Seite für Seite teilt sie die verschiedenen Stationen ihres abenteuerlichen und rastlosen Lebens: Von unterschiedlichen Jobs an verschiedenen Orten – sie arbeitete als Köchin bei einem Erzbischof, als Hotelangestellte, Streetworkerin und private Krankenpflegerin. Immer wieder bricht sie ihre Zelte ab und beginnt neu, segelt jahrelang um den Pazifik, lebt unter anderem in Neuguinea und auf Tahiti, begegnet Piraten und wird wegen Glücksspiels verhaftet.

„Wenn ich in einer Situation steckte, in der ich nicht sein wollte, musste ich das Selbstvertrauen haben, der Welt zu zeigen, dass ich das siegreiche Blatt in der Hand hielt (…)“

Dabei wechseln sich die Kapitel über ihre turbulenten Erfahrungen mit Anekdoten aus ihrem Buchladen ab, erzählen von den Menschen, die ihn besuchen und Schätzen, die sie dort gefunden hat. Sie teilt Gedanken zu ihren eigenen Lieblingsbüchern und verwebt kaum merklich die verschiedenen Zeitebenen zwischen ihrer Vergangenheit und dem Jetzt – wie sie schließlich in Manapōuri in der Home Street zur Ruhe kam.

Die Geschichte von Ruth Shaw ist eine Geschichte, die glatt aus einem Drehbuch stammen könnte. Dabei ist ihr Schreibstil aus Zurückhaltung, ohne auszusparen, aus Tragik, gepaart mit Optimismus und Humor, rührend wie herzerwärmend. Mit starker Stimme erzählt sie von Verlust in seinen unterschiedlichen Facetten und langanhaltendem Schmerz, von Höhen und Tiefen – aber auch von Liebe: Zum Leben, ihrem Seelengefährten Lance, zu der Weite des Ozeans und natürlich zu Büchern.

„Ich bin überzeugt, dass es für jeden ein Buch gibt, und ich staune immer wieder, wie oft das perfekte Buch auf einem Regal in meinem winzigen Buchladen mit seinen weniger als 1000 Titeln steht.“

Der Buchladen am Ende der Welt weckt Sehnsucht an diesen besonderen Ort zu reisen, um mit Ruth Shaw – einer unerschrockenen und offenen Frau – einen Tee zu trinken.

 

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