Reportage

PeruMachu Picchu

Nach wie vor gibt die erhabene Ruinenstadt der Inka Rätsel auf ©shutterstock.com/Jens_Bee

»Diese faszinierende Gegend übte einen derartigen Reiz auf mich aus, dass ich sie mit keinem Gebiet der Welt vergleichen kann.«

 

So wird Hiram Bingham zitiert, der „Wiederentdecker“ einer der spektakulärsten Kulturstätten Lateinamerikas, des Machu Picchu, des großen Berges. Am 24. Juli 1911 stieß der US-amerikanische Forschungsreisende im Rahmen einer Expedition auf die Ruinen. Doch könnte man sagen, Bingham war weniger Entdecker als Freileger, denn bereits 40 Jahre zuvor fand sich der deutsche Kaufmann August Bern überraschend beim Waldroden mit Spuren der Anlage konfrontiert. Bingham jedoch ist es zu verdanken, dass diese schließlich untersucht werden konnten. Bis 1913 rekrutierte er zahlreiche Sponsoren für seine archäologischen Studien, u.a. wurde ihm ein Stipendium der National Geographic Society zuteil. Ausgestattet mit einer unter damaligen Umständen revolutionären Technologie, einer Kodak Panoramakamera, und unter der kundigen Hilfe der indigenen Bevölkerung wurden in den kommenden Jahren große Flächen der vom Dschungel überwucherten Steine freigelegt. Hiram Bingham, akademisch ausgebildet in Yale, Harvard und Berkeley, dokumentierte seine gesamte Peru-Expedition und wie er später auf Machu Picchu stieß in dem Buch Inca Land, heute im deutschsprachigen Raum unter dem Titel Machu Picchu – Die legendäre Endeckungsreise im Land der Inka veröffentlicht.

Durch seine Wissbegierde nun weitestgehend offengelegt, verneigt sich die bedeutende Ruinenstadt der Inka nach wie vor würdevoll wie ehrerbietend vor dem Himmel. Ja, gelegen auf „nur“ 2430m zeichnet sie stets erhabenes Bild – ob in Wolkenzügen verhüllt oder durch Sonnenschein erhellt. Mystik umgibt sie, Fragen wandern durch die Lüfte, eine Energie ist präsent, die Sehnsucht weckt, endlich zu verstehen, um was es an diesem Ort einst ging.

 

Nach heutigem Wissenstand wurde sie im 15. Jahrhundert (circa zwischen 1420 – 1520) von dem 9. Herrscher der Inka-Dynastie, Pachacútec Yupanqui, erbaut und verbindet die Gipfel des jungen (»Huayna Picchu«) und alten Berges (»Machu Picchu«) unweit der Provinzhauptstadt Cusco im zentral nördlichen Hochland Perus. Schon damals soll es hier Pilgerfahrten gegeben haben und auch heute drängen sich Menschenscharen aus aller Welt täglich mit Bus und Bahn zu dem von der UN 1983 als Weltkulturerbe ausgezeichneten Wunder. Schlagwörter wie Overtourism hört man im Zusammenhang mit Maccu Picchu nicht selten. 2019 musste die peruanische Regierung intervenieren, um dem Strom an Besucher:innen wieder Herr zu werden. Der Einlass wird nun nur noch stundenweise gewährt, die Anzahl an Tourist:innen ist beschränkt, Tickets sollten vorab erworben werden und ein Guide ist obligatorisch.

Machu Picchu ist einer dieser Orte, dessen unvergleichlicher Reiz wohl nicht nur mit architektonischer Pracht, historisch-kultureller Bedeutung und einer pittoresken Lage begründet werden kann, sondern auch damit, dass der einstige „Zweck“ bis zum heutigen Zeitpunkt nicht vollständig entschlüsselt ist. In den letzten hundert Jahren tauchten teils die wildesten Theorien und Vermutungen über diesen Ort auf. Widerlegt oder befeuert durch Funde, wissenschaftliche Revidierungen und sich überrollende Erkenntnisse. Geteilte Meinung ist heute: Bei der Inka-Stätte handelte es sich nicht um eine Wohnsiedlung - wovon man lange Zeit ausging. In den rund 300 Wohnungen, die mit ausgeklügelten Kanalanlagen miteinander verbunden sind, konnten dauerhaft nicht mehr als 1500 Menschen leben. Zu klein für eine Stadt der Inka.

Die archäologischen und ethnologischen Studien weisen deutlich darauf hin, dass es sich um ein religiöses Heiligtum und astrologisches Zentrum gehandelt hat, man landwirtschaftliche Experimente durchführte und die Sterne beobachtete. Das Volk der Inka hatte eine unvergleichliche Verbindung zum Kosmos. Das gesamte Management der Kultur orientierte sich an Sternenbildern, Sonnenstand und Planetenlaufbahnen. Ein seltsam geformerter Felsen, der für Opferrituale gedient haben könnte, auffällig viele Frauenskelette, die den Mythos der Sonnenjungfrauen bekräftigen, ein Observatorium, ein Friedhof, ein Tempel. Was man (heraus)fand macht neugierig, tiefer in dieses Dunkel an Rätseln zu stoßen.

 

Der Name der Anlage - in der indigenen Sprache Quechua - stammt übrigens von Hiram, nicht von den Inka. Da sie keine schriftlichen Quellen hinterließen, ist es wahrscheinlich, dass der wahre Name ein anderer gewesen ist. Laut Hiram sei er mit den „Schatten der Vergangenheit“ gegangen - falls es ihn überhaupt gab.


Autorin: Lea Katharina Nagel

 

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