Stellen Sie sich weitverzweigte Küstengewässer vor, nur durch eine schmale Landzunge von der Ostsee getrennt. An ihrem Ufer wächst Schilf, einsame Buchten reihen sich an lebendige kleine Erholungsorte. Zwischen den Bäumen entdecken Sie bisweilen Hirsche und am Himmel ziehen im Frühling und Herbst tausende Kraniche dahin. Über das glitzernde Wasser gleiten Holzboote mit unübersehbaren, rotbraunen Segeln.
„Bodden“ wird diese flache Lagunenlandschaft der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst genannt – abgeleitet vom niederdeutschen Wort für „Boden, Grund“. Die Region, die größtenteils aus dem Nationalpark „Vorpommersche Boddenlandschaft“ besteht, ist ein echtes Naturparadies, in dem die Menschen viel Wert auf Ursprünglichkeit und Traditionen legen. Beispielsweise auf dem Wasser, wenn die Segel der altmodischen Zeesboote gehisst werden.
Seit dem 15. Jahrhundert leisteten die auffälligen Zeesboote den Fischern der Region gute Dienste. Sie wurden als bis zu zwölf Meter lange, formstabile Schwertboote aus Eichenholz gebaut und eigneten sich mit ihrem geringen Tiefgang bestens für die seichten Boddengewässer. Mit diesen Booten „zeesten“ die Fischer, stellten also die Segel gegen den Wind und segelten, ein großes Fangnetz hinter sich herziehend, quer zum Wind. Auch für die typische rotbraune Farbe der Segel gibt es einen guten Grund: Mit eigens entwickelten Rezepturen aus Ockerfarbe, Holzteer, Lebertran, Eichenrinde und Talg schützten die Fischer die Leinwand gegen die Witterung.
Bootsliebhaber mit Sinn für Traditionen
Obwohl spätestens seit Mitte der 1970er Jahre kein Fischfang mit Zeesbooten mehr betrieben wird, segeln immer noch rund 100 Boote über die Küstengewässer der Region. Liebevoll restauriert tragen sie dazu bei, die Bräuche und Besonderheiten der Region zu bewahren – seit 2018 sind die Zeesboote sogar im bundesweiten Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes gelistet.
Zu den Fans der nostalgischen Kähne mit ihren außergewöhnlichen Segeln gehören auch Vater und Sohn Eymael. Sie sind stolze Besitzer von gleich zwei ausrangierten Zeesbooten; das erste Boot kaufte Peter Eymael bereits 1966. Dass Sohn Jochen die Begeisterung seines Vaters schon seit dem frühesten Kindesalter teilt, ist nicht überraschend. Gemeinsam haben die beiden Männer einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass die Zeesboote auch heute nicht aus Fischland-Darß-Zingst wegzudenken sind.
Um diese Tradition hautnah zu erleben, gehen Sie am besten selbst an Bord! In vielen kleinen Häfen bieten die Eigner Törns auf den Boddengewässern an, bei denen Sie auf einem der sorgfältig wiederhergerichteten und gepflegten Zeesboote mitsegeln. Buchen Sie beispielsweise eine der Touren der Familie Eymael, die am Hafen Wustrow auf ihren schmucken Booten „Butt“ und „Bill“ die Segel hissen. Lassen Sie sich den Wind um die Nase wehen und genießen Sie den Zauber der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst. Aber Vorsicht: Die Begeisterung der Segler für ihre altmodischen Boote wirkt garantiert ansteckend!
Maritimes Volksfest
Um besonders malerische Urlaubsfotos zu schießen, bleiben Sie zu einer der Zeesboot-Regatten, die an verschiedenen Häfen organisiert werden. Die traditionellen Boote mit ihren geblähten Segeln, die um die Wette auf den Bodden kreuzen, sind ein außergewöhnlicher Anblick! Die Regatten werden gebührend gefeiert – und zwar den ganzen Sommer über. Der Startschuss zur Regattasaison fällt Mitte Juni beim Hafenfest in Zingst mit buntem Markttreiben, regionalen Spezialitäten und feierlicher Siegerehrung mit Seemannsliedern. Im Juli beobachten Sie in Wustrow oder Barth, wie die Zeesboote die Segel zum Bootsrennen hissen. Und die letzte Regatta der Saison erleben Sie im September im Althäger Hafen in Ahrenshoop, wo die örtlichen Fischer schon vor fast 100 Jahren die erste Zeesboot-Regatta organisierten.
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Egal wo Sie nach Ihrem Zeesboottörn wieder an Land gehen: In den lebhaften Hafenorten an Bodden und Ostsee gibt es viel zu entdecken und zu erleben. Schlendern Sie durch die pittoresken kleinen Häfen mit ihren bunten Bootshäusern und lassen Sie das maritime Flair auf sich wirken. Gegen den Hunger gibt’s hier frische Fischbrötchen – am leckersten schmecken sie direkt vom Fischkutter! Unternehmen Sie von Born einen Ausflug in den Nationalpark „Vorpommersche Boddenlandschaft“; der gemütliche kleine Ort wurde für sein Gästeengagement mit der „Gelben Welle“ und drei „Blauen Sternen“ ausgezeichnet. Besichtigen Sie das Deutsche Bernsteinmuseum im quirligen Erholungsort Ribnitz-Damgarten oder die Künstlerkolonie in Ahrenshoop, die einst Maler wie Paul Müller-Kaempff, Erich Heckel und Marianne von Werefkin anzog. Und Wasserratten fühlen sich an den breiten Sandstränden des Seeheilbades Zingst in ihrem Element.