Reportage

KaribikDer Klang Kubas

Die Straßen der kubanischen Metropolen sind wie ein einziger großer Konzertsaal ©shutterstock.com/akturer

Ob Danzón, Rumba, Jazz oder Changüí. Musik und Tanz sind ein kubanisches Grundnahrungsmittel. Die Vielfältigkeit der Musikszene ist das Ergebnis einer jahrhundertelangen Mischung von Kulturen, ist Ventil und Ausdrucksform der einzigartigen Lebensart.

 

"Die schönste Insel, die Menschenaugen jemals erblickten“ - so soll Christoph Kolumbus über Kuba geschrieben haben.

Wahrlich ist Kuba für das Auge ein Paradies. Die intensiven Farben, die geschmeidigen Formen, die Fülle der Natur und die charaktervollen Gesichter vergisst man nicht so schnell. Doch heute müsste man Kolumbus wohl korrigieren oder zumindest den Satz ergänzen - "Die schönste Insel, die Menschenohren jemals erhörten.“ Kuba mit feurigen Rhythmen zu verbinden ist spätestens seit den Erfolgen des Buena Vista Social Club nichts Ungewöhnliches. Verbinden? Das erscheint in Anbetracht der Fülle musikalischer Stile und Ausdrucksformen untertrieben. Kuba, insbesondere größerere Städte wie Santiago oder die Hauptstadt Havanna sind Musik, es gibt kaum einen Winkel der davon unberührt bleibt.

Die Straßen der lebendigen Metropolen sind wie ein großer Konzertsaal, in dem eine mehr oder weniger improvisierte Jamsession pausenlos das Geschehen begleitet. Gitarren, Violinen, Trommeln oder Trompeten sind alltäglich, Tanz und Bewegung zu den Klängen so lebenswichtig wie die Luft zum Atmen.

Die Rhythmen tragen durch die Straßen und Gassen, sie führen vorbei an den charakteristischen bunten Häusern und alten Kolonialbauten, streifen Zuckerrohrverkäufer, klingen aus alten US-Oldtimern und werden schließlich von den Wellen an der schmucklosen Promenade willkommen geheißen. Auf einer kargen Mauer übt eine junge Posaunistin ihre Tonleitern, ein paar Meter weiter verzaubert eine Gruppe in die Jahre gekommener Señors Tourist:innen mit einer äußerst gefühlvollen Version von »Bésame Mucho«, eine Gruppe jünger Mütter swingt auf der Rückbank eines Wagens.

 

Son Cubano, Rumba, Cha-Cha-Cha, Jazz, Danzón, Salsa und Mambo. Die atemberaubende Vielfalt der Klänge und Tänze ist das Ergebnis einer jahrhundertenlangen Mischung von Kulturen, die Kuba wie ein Schwamm aufgesogen hat und daraus seine ganz eigene Mixtur kreierte. Besonders prägend waren spanische und westafrikanische Einflüsse, aber auch französische, nordamerikanische, jamaikanische und indigene kamen im Laufe der Zeit hinzu. Haitianische Flüchtlinge und afrikanische Sklaven, die auf die Insel kamen, brachten ihre Musik mit, Santería-Rituale wurden unter Christianisierungszwängen seit jeher mit Batá-Trommeln, Trancetänzen und gesungenem Gebet gelebt. So ist das was man hier hört, immer auch ein Spiegel von dem was war, dem was ist oder dem was zukünftig vielleicht sein wird.

Trotz Insellage und kleiner Größe ist und war Kubas Einfluss auf die globale Musikszene gigantisch. Tänze, Musiker und akustische Modeerscheinungen wurden in die ganze Welt exportiert. Manhattans Salsa-Szene, der argentinische Tango oder auch die zeitgenössische Populärmusik Westafrikas von HipHop über Rap bis Funk würde ohne die kreative Improvisationskraft und Individualität der kubanischen Szene so nicht existieren. Puristische, kontrollierte Überlegungen, wie sie die Europäer:Innen früher verfolgten, waren den Musiker:innen der exotischen Zuckerinsel schon immer herzlich gleichgültig – darin liegt wohl ein Geheimrezept.

Vom Wetterbericht über Drogenkonsum, Alltagsgeschichten, sozialer Ungerechtigkeit, politischen Aktivismus, unerwiderter Liebe und der Schönheit der Natur, die Themen sind vielfältig und doch lässt sich ein gemeinsamer, schwer beschreibbarer Tenor erhören. Ein Klang, ohne den Kuba nicht funktionieren würde.

2012 tourte das Nationalorchester Kubas unter Furore das erste Mal durch die USA, 2015 unter der Leitung von Enrique Pérez Mesa dann das erste Mal durch Deutschland. Das Privileg einer solchen Anstellung ist leider die Ausnahme, auf Kuba gibt es über 12.000 exzellent ausgebildete Musiker:innen, die keinen Job finden, in anderen Ländern mit ihrem Können jedoch problemlos in Bands und Orchestern untergebracht werden würden. So schlagen sich viele von ihnen vor oder nach dem Studium mit Gelegenheitsjobs durch. Auf Straßen, in Cafés oder auf Parties – wie lange es noch Gratiskonzerte in dieser Fülle und Qualität gibt, bleibt abzuwarten. Kuba ist Entbehrung und Knappheit „gewöhnt“ und hat mit Optimismus und Lebensfreude viele Hürden überwunden, so wird auch der Klang der charaktervollen Insel nicht verebben.


Autorin: Lea Katharina Nagel

 

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