von M. Möbius, Kabelvåg/Norwegen
Polarlicht und MitternachtssonneDas Licht des Nordens
Ob im Sommer, wenn zur Nachtzeit überschwängliches Orange auf dem Meer liegt, während die Berge eine Symphonie aus goldenem Ocker und violetten Schatten bilden, oder im Winter, wenn die Lichtschleier des Polarlichts über den Himmel wehen, stets kann man in Nordnorwegen Bilder sehen, die für menschliche Augen kaum geschaffen zu sein scheinen.
Was sich im hohen Norden in besonderem Maße erfahren lässt, ist der ungeheure Einfluss, den das Licht auf die menschliche Psyche nehmen kann. Abgesehen vom ästhetischen Genuss, den es vermittelt, löst es noch etwas Tieferes und Subtileres im Bewusstsein aus: das Gefühl der Stille. Und welche Farben dieses Licht hat! Mal hält es sich zwischen Blau und Grün mit Andeutungen von Gelb, dann scheint es aus Ultramarin gewebt, und wer je das flammende Feuermeer des „Indian Summer“ erlebt hat, wenn man sich oft am Gegenspiel rot glühender Bäume und von Raureifschichten überzogener Berge erfreuen kann, für den wird der Gedanke an Schönheit wohl für alle Zeiten an Nordnorwegen gebunden sein.
Wenn Allnacht zum Alltag wird
Ab Ende September, wenn oft schon der erste Schnee niedergeht, werden die Tage rapide kürzer, und im November bestehen sie nur noch aus Morgen- und Abendröte. Langsam versinkt die Polarwelt im Schatten, bis ab Dezember die Allnacht zum Alltag wird. Eine ungeheure Melancholie liegt über dem Land, und wenn dann das Nordlicht lautlos über den Himmel weht, wird alles Landschaftserleben über den Haufen geworfen. Erst liegt ein hauchzartes Schwingen über der vereisten Erde. Dann plötzlich schießen helle Strahlenbündel herab, leuchtende Stangen aus Glas, die heller und greller werden, rosa, lila und grün, sich drehen und winden, quer über den ganzen Himmel hinweg, schließlich wie Schleier wehen, blass werden und vergehen… Den Völkern des Nordens war die Aurora borealis, wie der Franzose Pierre Gassend das Nord- oder Polarlicht im 17. Jahrhundert taufte, stets ein Mirakel, denen des Südens hingegen ein Menetekel. Die Wissenschaftler sehen es nüchterner und sprechen von Elektronen und Protonen, positiv und negativ geladenen Teilchen, die – je nach Sonnenaktivität – in wechselnder Stärke als Sonnenwind zur Erde strömen. Nun können aber diese Teilchen nur dort in die Erdatmosphäre eindringen, wo das Magnetfeld am schwächsten ist – an den Polkappen –, und mit einer Geschwindigkeit von 900 Metern pro Sekunde stürzt der etwa 100 000 Grad heiße Sonnenwind den magnetischen Polen entgegen, bis er, beim Eintritt in die Atmosphäre, schrittweise abgebremst wird. Seine Energie geht auf die Moleküle und Atome der Luft über, die sie als Licht innerhalb der Ionosphäre in meist zwischen 120 und 130 Kilometern Höhe wieder abstrahlen, wobei die Farben des Polarlichts mit der Höhe im Verhältnis stehen.
Der Mitternachtssonne entgegen
Gegen Januar lichtet sich die Polarnacht, und täglich wird er breiter, der pastellene Lichtstreifen, der sich am Himmelsrand ins „Astrallicht“ mischt. Bis plötzlich zum ersten Mal wieder die Sonne auftaucht, um glutrot das Land zu verzaubern. Erst nur für Sekunden, dann Minuten, schließlich Stunden, bis ab April der helle Tag bereits wieder volle 24 Stunden zählt. Bis in den August hinein, wenn sich bereits der bunte Palettenzauber des Herbstes an die Birken und Espen heranwagt, lassen nun die sanften Strahlen der Mitternachtssonne die Welt in Goldlicht ertrinken, bevor das Land einen Monat später wieder in den Winter hinüberdämmert. Der Grund für all diese Phänomene, den Polartag, die Polarnacht und das Nordlicht sowie auch für die „nackte Intensität“ des Lichts, ist die geographische Lage der Finnmark: Die Erdachse steht schräg zur Umlaufbahn der Erde um die Sonne, und die direkte Folge dieser Neigung von 23,5° ist, dass es im Sommer nördlich des Polarkreises Zeiten gibt, in denen die Sonne nicht untergeht, sondern als abendroter Flammenball zum Horizont sinkt und Minuten später als Morgenrot wieder aufsteigt. Die Kehrseite dieser nicht enden wollenden Sommertage ist die Polarnacht, in der die Sonne gar nicht erst aufgeht. Sie ist aber eigentlich keine Nacht, sondern dank Mondschein, Sternen- und Polarlicht eher eine diffuse, nahezu mystische Helligkeit von ganz eigenem Reiz. In einem Land, wo die Sonne sich monatelang rar macht, hat der Sommer eine viel stärkere Bedeutung als in gemäßigten Breiten – vor allem in den Wochen um die Sommersonnenwende.
von M. Möbius, Kabelvåg/Norwegen
Polarlicht und MitternachtssonneDas Licht des Nordens
Ob im Sommer, wenn zur Nachtzeit überschwängliches Orange auf dem Meer liegt, während die Berge eine Symphonie aus goldenem Ocker und violetten Schatten bilden, oder im Winter, wenn die Lichtschleier des Polarlichts über den Himmel wehen, stets kann man in Nordnorwegen Bilder sehen, die für menschliche Augen kaum geschaffen zu sein scheinen.
Was sich im hohen Norden in besonderem Maße erfahren lässt, ist der ungeheure Einfluss, den das Licht auf die menschliche Psyche nehmen kann. Abgesehen vom ästhetischen Genuss, den es vermittelt, löst es noch etwas Tieferes und Subtileres im Bewusstsein aus: das Gefühl der Stille. Und welche Farben dieses Licht hat! Mal hält es sich zwischen Blau und Grün mit Andeutungen von Gelb, dann scheint es aus Ultramarin gewebt, und wer je das flammende Feuermeer des „Indian Summer“ erlebt hat, wenn man sich oft am Gegenspiel rot glühender Bäume und von Raureifschichten überzogener Berge erfreuen kann, für den wird der Gedanke an Schönheit wohl für alle Zeiten an Nordnorwegen gebunden sein.
Wenn Allnacht zum Alltag wird
Ab Ende September, wenn oft schon der erste Schnee niedergeht, werden die Tage rapide kürzer, und im November bestehen sie nur noch aus Morgen- und Abendröte. Langsam versinkt die Polarwelt im Schatten, bis ab Dezember die Allnacht zum Alltag wird. Eine ungeheure Melancholie liegt über dem Land, und wenn dann das Nordlicht lautlos über den Himmel weht, wird alles Landschaftserleben über den Haufen geworfen. Erst liegt ein hauchzartes Schwingen über der vereisten Erde. Dann plötzlich schießen helle Strahlenbündel herab, leuchtende Stangen aus Glas, die heller und greller werden, rosa, lila und grün, sich drehen und winden, quer über den ganzen Himmel hinweg, schließlich wie Schleier wehen, blass werden und vergehen… Den Völkern des Nordens war die Aurora borealis, wie der Franzose Pierre Gassend das Nord- oder Polarlicht im 17. Jahrhundert taufte, stets ein Mirakel, denen des Südens hingegen ein Menetekel. Die Wissenschaftler sehen es nüchterner und sprechen von Elektronen und Protonen, positiv und negativ geladenen Teilchen, die – je nach Sonnenaktivität – in wechselnder Stärke als Sonnenwind zur Erde strömen. Nun können aber diese Teilchen nur dort in die Erdatmosphäre eindringen, wo das Magnetfeld am schwächsten ist – an den Polkappen –, und mit einer Geschwindigkeit von 900 Metern pro Sekunde stürzt der etwa 100 000 Grad heiße Sonnenwind den magnetischen Polen entgegen, bis er, beim Eintritt in die Atmosphäre, schrittweise abgebremst wird. Seine Energie geht auf die Moleküle und Atome der Luft über, die sie als Licht innerhalb der Ionosphäre in meist zwischen 120 und 130 Kilometern Höhe wieder abstrahlen, wobei die Farben des Polarlichts mit der Höhe im Verhältnis stehen.
Der Mitternachtssonne entgegen
Gegen Januar lichtet sich die Polarnacht, und täglich wird er breiter, der pastellene Lichtstreifen, der sich am Himmelsrand ins „Astrallicht“ mischt. Bis plötzlich zum ersten Mal wieder die Sonne auftaucht, um glutrot das Land zu verzaubern. Erst nur für Sekunden, dann Minuten, schließlich Stunden, bis ab April der helle Tag bereits wieder volle 24 Stunden zählt. Bis in den August hinein, wenn sich bereits der bunte Palettenzauber des Herbstes an die Birken und Espen heranwagt, lassen nun die sanften Strahlen der Mitternachtssonne die Welt in Goldlicht ertrinken, bevor das Land einen Monat später wieder in den Winter hinüberdämmert. Der Grund für all diese Phänomene, den Polartag, die Polarnacht und das Nordlicht sowie auch für die „nackte Intensität“ des Lichts, ist die geographische Lage der Finnmark: Die Erdachse steht schräg zur Umlaufbahn der Erde um die Sonne, und die direkte Folge dieser Neigung von 23,5° ist, dass es im Sommer nördlich des Polarkreises Zeiten gibt, in denen die Sonne nicht untergeht, sondern als abendroter Flammenball zum Horizont sinkt und Minuten später als Morgenrot wieder aufsteigt. Die Kehrseite dieser nicht enden wollenden Sommertage ist die Polarnacht, in der die Sonne gar nicht erst aufgeht. Sie ist aber eigentlich keine Nacht, sondern dank Mondschein, Sternen- und Polarlicht eher eine diffuse, nahezu mystische Helligkeit von ganz eigenem Reiz. In einem Land, wo die Sonne sich monatelang rar macht, hat der Sommer eine viel stärkere Bedeutung als in gemäßigten Breiten – vor allem in den Wochen um die Sommersonnenwende.