Kunst & KulturDer Jedermann, ein zeitloses Geschenk
Auch dieses Jahr erfreuen die Salzburger Festspiele mit ihrem Flagschiff, dem Jedermann - von Hugo von Hofmannsthal. Im Jahr 2021 werden die ZuschauerInnen und Zuschauer mit einem neuen Touch konfrontiert, mit Neubesetzungen, es wird weiblicher, das Verständnis des Stückes inspiriert aufs Neue. Eine beeindruckende Leistung.
Die Institution Jedermann
Der Jedermann prägt bis heute die Stadtidentität Salzburgs, wird als „DNA der Salzburger Festspiele“ bezeichnet. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes feierte seine Uraufführung 1911. 9 Jahre später, am 22. August 1920, hat das Stück seine Premiere auf den Salzburger Festspielen. Das Gründungsjahr des international hoch rangierten Kulturfestivals: 6 Wochen, über eine Viertel Millionen Zuschauer, über 200 Veranstaltungen, mit dem Markenzeichen Jedermann.
Die Handlung ist zeitlos: Das Europa des 15. Jahrhunderts ist Schauplatz des sogenannten Mysterienspiels. In Kürze: Im Zentrum steht einerseits der wohlhabende, geizige, erbarmungslose Jedermann. Andererseits geht es um Gottes Sorgen über den moralischen Verfall der Menschen. Gott tritt deshalb mit dem Tod in Kontakt, der am Jedermann ein Exempel statuieren soll – in der Hoffnung der Mensch möge verstehen, sein Leben wesentlichen menschlichen Werten widmen.
Jedermann wird somit mit einem baldigen Tod konfrontiert und damit auch einem göttlichen Strafverfahren. Dieser Herr ist sich bewusst, dass seine Weste nicht unbedingt blütenrein ist. Er bekommt Angst. So bittet er Gesellen, Knechte und Vettern ihn doch zu begleiten, ihn zu unterstützen. Doch vergeblich, mit Gott will man sich nicht anlegen und Jedermann trägt schließlich die Verantwortung für sein eigenes Handeln.
So „zwingt“ ihn die Not sich wieder dem Glauben zuzuwenden, der unendlichen Liebe Gottes. In der Hoffnung, dies möge ihn retten. Der durchaus als kontrovers wahrnehmbare Herr beginnt sein unmoralisches, stolzes, gottfernes Leben zu bereuen. Selbstverständlich wird ihm die Vergebungsweite Gottes zuteil und er entrinnt dem Tod um Haares Breite. Sehr zum Missfallen des Teufels, der sich schon auf eine neue Seele in der Hölle freute. Jedermann darf sein Leben weiterführen, er schätzte es von nun an wohl mehr Wert.
Der Zeitgeist im Spiegel
Neubesetzungen prägen das Essemble: Die Hauptrolle übernahm dieses Jahr, nach schauspielerischen Größen der österreichischen Geschichte wie Peter Simonischek und Tobias Moretti, der 45 Jährige Lars Eidinger. Ein gebürtiger Berliner. Die Buhlschaft, eine kurze aber wesentliche Hauptrolle des Stückes, übernahm die 33-Jährige Salzburgerin Verena Altenberger. Das Gegensatzpaar Gott und Teufel werden von der 41-Jährigen Wiener Burgschauspielerin Mavie Hörbiger umwerfend verkörpert. Als unerbittlicher Tod sticht die 81-Jährige Edith Clever heraus.
Ein Aufruf zur Reflektion
Verena Altenberger, die Frau, um die sich Jedermann bemüht, trägt Glatze. Die Hauptrollen sind überwiegend weiblich. Auch die ausgewählten geographischen Hintergründe der Schauspieler sind eine Erwähnung wert. Traditionelle Kostüme werden über Bord geworfen, so hat „Frau die Hosen“ im wahrsten Sinne des Wortes an. Der Jedermann zeigt sich ungewohnt schwach, verletzlich, nachdenklich. Die Weiblichkeit wiederum stark, forsch, selbstbewusst.
Kunst und Kultur sind immer auch Spiegel der Gesellschaft. Hofmannsthals Klassiker wird nicht ohne Grund jährlich aufgeführt. Nicht ohne Grund scharen sich die Besuchermassen aus aller Herren Länder zu diesem Ereignis. Die Beliebtheit wird kaum nur mit der Prominenz oder dem beeindruckenden Bühnenbild erklärt werden können. Hofmannsthal appelliert an grundlegende menschliche Werte. Stellt Tod und Leben – als das alle Menschen vereinende - in den Fokus. Wirft Fragen auf, mit denen Jeder und Jede sich identifizieren kann.
Was bedeutet ein erfülltes Leben? Stelle ich mich dem Mysterium "Tod"?
Die Salzburger Festspiele und der Jedermann können nicht nur als reines Amusement eingeordnet werden. Ihnen darf eine wichtige gesellschaftliche Rolle und individuelle Affirmation zugesprochen werden.
Autorin: Lea Katharina Nagel