PortugalDecus in labore
Die Livraria Lello ist eine Attraktion. Einsamkeit sucht man in der altehrwürdigen Buchhandlung im Herzen der Hafenstadt Porto zwar vergeblich. Doch umrankt von Harry-Potter Mythen und Sentimentalität ist sie bei Menschen aus aller Welt gefragter denn je.
Fast unweigerlich wird man in den Planungen eines Porto-Trips auf die Livraria Lello stoßen. Spätestens seitdem die britische Tageszeitung The Guardian sie in einem Ranking an die Spitze der schönsten Buchhandlungen weltweit katapultierte, zählt sie zu den sogenannten „Must-Sees“ – Eintritt mittlerweile inklusive.
Sie liegt an der Rua das Carmelitas Nr. 144, sehr zentral in Portos Altstadt. Ihre Geschichte reicht über hundert Jahre zurück: 1894 kaufte der Verleger und Buchhändler José Pinto de Sousa Lello das Gebäude, indem sich bereits seit 1869 ein kleiner Buchladen unter dem Namen Livraria Chardron befand. Zwölf Jahre später, am 13. Januar 1906 eröffnete José gemeinsam mit seinem Bruder António dann die malerische Livraria Lello. 1995 wurde sie nochmals renoviert, seit 2013 steht sie offiziell unter Denkmalschutz. Die heutigen Eigentümer sind Aurora Pinto und José Manuel Lello, wie der Name verrät: Ein Nachkomme.
Das Gebäude
Die Gebäudestruktur und Inneneinrichtung ist eine architektonische Melange aus Jugenstil, Neugotik und französischem Art déco – einer Stilrichtung die bei den betuchten Portuensern damals äußerst en vogue war. Für die helle Außenfassade beauftragten die Brüder Lello damals den Ingenieur Francisco Xavier Esteves. Zur linken und zur rechten der Fenster sind zwei Frauen des Malers José Bielmann abgebildet. Sie repräsentieren Kunst und Wissenschaft, geben erneut einen Wink auf die eher großbürgerliche Mentalität der verbrüderten Gründerväter und gleichermaßen auf eine historische Blütezeit Portos.
Im Inneren ist die Atmosphäre heimelig, spärliche aber warme Beleuchtung erfüllt die beschaulichen hochgebauten Räumlichkeiten. Blickfang und gewissermaßen fotografisches Aushängeschild ist eine dominante geschwungene Holztreppe, die in die oberen Etagen führt. Ausgelegt ist sie mit einem leuchtend roten Teppich. Insgesamt verfügt die Livraria über 3 Etagen, inklusive einer kleinen Bar, in der Portwein das Einkaufserlebnis angenehm unterstützt. Wissendurst liegt in der Luft, Büsten bedeutender heimischer SchriftstellerInnen wie Tomás Ribeiro, Guerra Junqueiro oder Camilo Castello Branco sind aufgestellt und an Regalen befestigt. Die dunklen kunstvoll geschnitzten Holzvertäfelungen der Wände und Decke sind teils Holz, teils äußerst echt wirkender bemalter Rigips. Das große gläserne Mosaik an der Decke wirkt sakral, erinnert an Zeiten in denen Buchbesitz noch Universitäten, Klöstern und höheren Gesellschaftsschichten vorbehalten war. Decus in Labore („Arbeit schmückt das Leben“) ist darauf zu lesen: Nach wie vor die goldene Regel der Lellos.
Der Mythos Harry Potter...
Zwangsläufig wird man im Zusammenhang mit der Livraria Lello auch auf J.K. Rowling stoßen, Mutter der weltbekannten Harry Potter Saga. Hartnäckig hält sich der Mythos, die Einrichtung im Lello habe sie in der Gestaltung der Zauberschule Hogwarts bedeutend inspiriert. Denn Rowlinglebte in der Schreibphase des ersten Bandes in Porto und war angeblich häufige Besucherin der Buchhandlung. J.K. Rowling selbst dementierte das in einem Twitter-Post vom 21. Mai 2020:
“For instance, I never visited this bookshop in Oporto. Never even knew of its existence! It`s beautiful and I wish I had visited, but it has nothing to do with Hogwarts!”
Doch trotz dieses öffentlichen Statements hält sich das Gerücht hartnäckig, ist nach wie vor ein starker Anreiz für BesucherInnen. Für die Befriedigung gibt es deshalb eine eigens eingerichtete Harry-Potter Ecke.
...und was es außerdem gibt:
Das Angebot spiegelt Heimat, Intellekt, Romantik und touristische Anpassung wider. Repräsentiert portugiesische und internationale Klassik und Lyrik. Postkarten, Reiseführer und nette Andenken ergänzen das Repertoire. Zwischen dem kleinen Prinzen, Romeo und Julia und Werken des portugiesischen Literaturnobelpreisträgers José Saramango gelingt es den BetreiberInnen die Palette nicht überraschend, aber charmant zu gestalten. Denn auch hier wird deutlich, dass die Livraria Lello nicht eine ausgewählt sortierte Buchhandlung ist und sein will. Sie ist eine Institution, begleitet von Ruhm, Hype und Historie.
Doch besonders hervorzuheben sind die regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen mit teils hochkarätigen Gästen und besonderen Themen. Für den 17. September 2022 war so ein öffentliches Gespräch zwischen der Journalistin und Literaturkritikerin Isabel Lucas und dem indisch-britischen Schriftsteller Salman Rushdie geplant. Der durch seine 1988 veröffentlichten Satanischen Verseinternational bekannt gewordene Intellektuelle, lebte aufgrund einer von muslimischen Fanatikern verhängten Fatwa jahrzehntelang im Verborgenen. Der öffentliche Auftritt in der Livraria Lello fand aufgrund der Messerattacke am 12. August 2022 auf Salman Rushdie bedauerlicherweise nicht statt.
Die enorme Popularität hat dazu geführt, dass die Zugangs- und Verhaltensregeln mittlerweile denen eines Museums ähneln. Es heißt Schlange stehen, das Mitbringen von Tieren ist nicht erlaubt, große Gepäckstücke müssen verschlossen werden, das Handy sollte im Stummmodus sein. Ein reguläres Ticket kostet 5€, das Priority Ticket mit einigen Annehmlichkeiten versehen, 15,90€. Das Eintrittsgeld kann jedoch mit eventuellen Käufen gegenverrechnet werden. Trotz Kritik an diesem Vorgehen, unverständlich erscheint das Ganze nicht, Massen hinterlassen ihre Spuren.
Die Livraria Lello wird mal hoch gelobt oder als Tourismusmagnet „zerrissen“. Natürlich, romantische Schmökerei in Stille gibt es wohl nicht, dafür ist sie wirklich schön anzusehen. Begleitet von einem erhabenen Gefühl in einer der offiziell schönsten Buchhandlungen der Welt gewesen zu sein.
Öffnungszeiten: 09:00 – 19:00 Uhr (Ein Besuch ist spätnachmittags zu empfehlen, tendenziell ist es dann leerer)
Autorin: Lea Katharina Nagel