Reportage

LettlandUnterschätztes Riga

Eine traumhafte Kulisse entlang der Düna ©Shutterstock.com/JonShore

Riga wurde lange Zeit als Kulturstadt übersehen. Die baltische Metropole zeigt mit neuem Selbstbewusstsein was in ihr steckt. Modern, vergangenheitsehrend und kreativ.

 

2014 war Riga europäische Kulturhauptstadt Europas. Die lettische Hauptstadt und größte Metropolregion des Baltikums hat dadurch neuen Schub bekommen: Endlich konnte man ganz Europa den Stolz zeigen, der nach Jahren der deutschen und russischen Fremdherrschaft im Unabhängigkeitsjahr 1990 förmlich explodierte. Obwohl die Anfangsjahre wirtschaftlich schwierig waren, kämpfte man für eine angemessene äußere Repräsentation. Zahlreiche Gebäude wurden renoviert und erstrahlen nun heute in neuem Glanz. Besonders bekannt für die vielen Jugenstilbauten, ganze 750 an der Zahl, gleicht Rigas Altstadt einem Architekturmuseum, das 1997 von der UNESCO als Welterbe ausgezeichnet wurde.

 

2014 nun also wurde die Bühne eröffnet, der Euro eingeführt, die lettische Kultur in einer Intensität gelebt, die selbst jahrelangen Rigaern bis heute in Erinnerung geblieben ist. Ja, man kann mithalten mit anderen europäischen Metropolen wie Paris, Wien oder Brüssel. Und trotz Wirtschaftskrise 2009 realisierte man rund um das Jubiläumsjahr 2014 einige große Infrastrukturprojekte, die sinnbildlich für das neue nationale Selbstbewusstsein stehen. Neben einem neuen Zentrum für zeitgenössische Kunst, dem Konzertsaal Riga -  Heimat des Lettischen Nationalen Symphonieorchesters - ist in diesem Zuge auch die Neue Lettische Nationalbibliothek entstanden, das moderne Wahrzeichen der Stadt: Für den Bau am linken Ufer der Düna wurde der in Riga geborene US-amerikanische Architekt Gunnar Birkerts beauftragt. Die Kosten des 13-stöckigen Baus beliefen sich auf ganze 193 Mio. Euro, am Eröffnungstag bildeten Tausende Menschen bei eisiger Kälte eine Kette und reichten gespendete Lieblingsbücher von Hand zu Hand über eine Strecke 2km. Der Weg von der Alten zur Neuen Nationalbibliothek. Es war es all die Kosten und Mühen wert, Buchrücken an Buchrücken werden sie heute in einem gigantischen verglasten Bücherregal aufbewahrt - eine Liebeserklärung an die eigene Kultur.  Heute finden hier viele Veranstaltungen statt; Führungen bieten die Möglichkeit ganz nach oben zu gelangen, von wo aus man einen herrlichen Panoramablick auf die Altstadt hat.

 

Knapp 10 Jahre nach dem pompösen Ereignisjahr, ist der Spirit teilweise noch spürbar, die Ergebnisse internationaler Aufmerksamkeit sichtbar. Modernes und Kreatives ist gewachsen, Leerstand und vereinsamte Stadtviertel wurden dem Leben geöffnet, das heute hier stattfindet. Projekte wie das Kanepe Kulturzentrum, die Speicherstadt oder alte Tabakfabrik wurden teilweise im Rahmen des Projektes „empty spaces“ vom Goethe Institut initiativ und inhaltlich gefördert. Riga bekam Input und Unterstützung um urbane Visionen und Zukunftsaussichten realisieren zu können. In den neu entstandenen Plätzen sind alternative Bars, Cafés, Theater und Event-Locations untergebracht, die insbesondere von der jungen Stadtbevölkerung genutzt werden. Mehr und mehr fand man so Sicherheit in der jungen Unabhängigkeit und definierte eine eigene kulturelle Größe.

 

 

Sowohl was den urbanen Raum betrifft als auch die Einstellung der Menschen fußt diese Größe nicht nur in Schaffen von Neuem, sondern auch in Traditionen und dem Bewahren identitätsprägender Wurzeln. Und was könnte dafür ein schöneres Beispiel sein als die Dainas. Auf die kurzen, meist nicht länger als vier Zeilen langen Lieder ist man stolz in Lettland, in Jahren der Fremdbestimmung boten sie die Möglichkeit eigene Mythologie und Kultur mündlich zu überliefern. Als Vater der Dainas und gewissermaßen nationaler Held wird dabei Krišjānis Barons verehrt. Der Intellektuelle sammelte in den Jahren zwischen 1894 und 1915 insgesamt 217.996  dieser kurzen Gesangstexte und überlieferte sie gebündelt in 6 Bänden der Nachwelt. Dem lettischen Liederschatz wird alle 5 Jahre beim großen Rigaer Lieder- und Volkstanzfest gefrönt. Ein Event, das zehntausende Menschen aus In- und Ausland anlockt.

Riga ist eine zeitlose Stadt mit unverwechselbarem Charakter. Man ist vergangenheitsverliebt, blickt und denkt nach vorne und lebt doch im Augenblick. Rechts und links der Daugava ist der Puls im Sommer vibrierend, im Winter still.


Autorin: Lea Katharina Nagel

 

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