Reportage

SerbienNovi Sad: Europäische Kulturhauptstadt 2022

In Novi Sad ist seit jeher eine progressiv-alternative Szene aktiv ©shutterstock.com/BalkansCat

Neben dem litauischen Kaunas und dem luxemburgischen Esch-sur-Alzette ist die serbische Stadt Novi Sad 2022 zur Kulturhauptstadt Europas gekürt worden. Für Viele noch eine unbekannte Destination, wartet die Region mit versteckter kultureller Vielfalt und Protestkultur auf. Was wir in Zukunft von der städtischen Black-Box erwarten dürfen:

 

Novi Sad ist die zweitgrößte Stadt Serbiens, im Umkreis leben und arbeiten über 340.000 Menschen. Gelegen in der autonomen Provinz Vojvodina,gilt die Region seit jeher als Schmelztigel der Kulturen. Hier haben sich im Laufe der Zeit unterschiedlichste Volksgruppen und Ethnien niedergelassen - darunter Russen, Bulgaren, Deutsche, Ungarn und Angehörige der südslawischen Minderheiten der Bunjewatzen und Šokci. Ganze sechs verschiedene Sprachen werden gesprochen. Traditionen wurden mit mitgebracht und so entstand ein neues, einzigartiges Miteinander – versteckt im historisch steifen Gewand der Monarchie. Idyllisch ist die Realität jedoch nicht. Bei der Wahl zur Kulturhauptstadt ist nicht nur bemerkenswert, dass Serbien zwar Beitrittskandidat, aber nicht offizielles Mitglied der EU ist, sondern auch, dass die umgesetzten Bestrebungen Novi Sad für das Ereignis aufzupolieren, bei der Bevölkerung nicht nur auf Wohlwollen stoßen.

Bereits 2021 fanden aufwändige Vorbereitungen für das kommende Ereignisjahr statt. Die federführende Leitung liegt bei der Stiftung »Novi Sad - Kulturhauptstadt Europas«, offizielles Gesicht ist der Direktor Nemanja Milenkovic. Die thematische Richtung war schnell klar: „Wir sind Vielfalt“. Das offizielle Motto lautet »Für neue Brücken«. Am 13. Januar 2022, dem serbisch-orthodoxen Neujahr, fand dann in einem fulminanten Spektakel die Eröffnung statt. Mit einem Budget von über 60 Mio. Euro wurden über 3000 Konzerte, Ausstellungen und Ballettaufführungen geplant und bereits umgesetzt. Darunter das Festival Kaleidoskop der Kulturenund ein sog. Heldinnen-Schwerpunkt. Die Richtung ist klar und beachtlich: Migration, Frauen in der Kunst, Diversität, ökologische Nachhaltigkeit und die Zukunft Europas stehen im Fokus.

Doch insbesondere die autonome Kunstszene rebelliert gegen den - ihrer Meinung nach - schönen Schein. In das Zentrum der Auseinandersetzungen rückte rasch ein Vorzeigeprojekt der Stiftung, die Rehabilitierung des sog. chinesischen Viertels: 

Das chinesische Viertel war in den 1930er Jahren ein wichtiger Industriestandort der Donauregion. Nach dem Umzug der Wirtschaft blieben verlassene Fabrikhallen, Eisenbahnen und Lagerhäuser leer. Diese Fläche soll wieder nutzbar gemacht werden. Doch genutzt wurde sie bereits, bevor die konservative Regierung im Rahmen der Feierlichkeiten auf sie aufmerksam wurde. Die alternative Kunstszene hatte hier ein bunt-florierendes Miteinander geschaffen. Ateliers, Studios und Handwerkstuben, Festivals und Partyreihen machten den Ruf des Viertels aus. Sie mussten jedoch gehen, um den angesagten Stadtbezirk der Welt zu präsentieren. Denn der Kreativ-Hotspot passt ideal zu dem Image, dass das offizielle Novi Sad sich aneignen will. Schnell wurden jedoch kritische Stimmen aus der alternativen Szene laut, gesprochen wird von Gentrifizierung. Zwar sollen die Räumlichkeiten nach 2022 wieder „zurückgegeben“ werden, doch man bleibt skeptisch.

 

Nemanja Milenkovic widerspricht: Den Verantwortlichen rund um den Titel Kulturhauptstadt 2022 sei nach eigenen Aussagen kulturelle Nachhaltigkeit äußerst wichtig. „Der Zirkus solle nicht nach einem Jahr aus der Stadt verschwinden“, so der Auszug aus einem Interview gegenüber der DW. Sinnbildlich dafür stehen Investitionen in die Infrastruktur: Insgesamt sollen acht Brückenbögen über die Donau gebaut werden, neue Musik-und Ballettschulen der Nachwuchsförderung dienen und Konzert- und Aufführungssäle das kulturelle Leben zukünftig beflügeln.  

Was von der vielversprechenden Auszeichnung bleibt, werden die kommenden Jahre zeigen. Unbestritten belebt die Debatte die Stadt, denn das vormals unbekannte Novi Sad wurde und wird für BesucherInnen aus ganz Europa interessant – wandelt sich zu einem Geheimtipp unter Travellern. Die im Land unter dem Synonym »Athen Serbiens« bekannte Region hat kulturell und szenisch international beachtlich an Anziehungskraft gewonnen. Der avantgardistische Geist gegenüber dem historisch starren KuK-Flair ist erwacht.


Autorin: Lea Katharina Nagel 

 

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