Reportage

TschechienNeues Licht für Luková

Skulpturen, die erinnern sollen. ©shutterstock.com/CharlitoCZ

Die Geister der St. Georgs Kirche im tschechischen Luková sind ein besonderes Beispiel für die kreative Erhaltung und Rettung von Kulturgut. 

 

Luková ist ein winziges Dorf im tschechischen Hinterland, gerade nördlich von Brünn und 200 km westlich der Hauptstadt Prag gelegen. Seine Wurzeln reichen in das 13. Jhdt. zurück. Die erstmalige urkundliche Erwähnung fand man aus dem Jahr 1304. Vor dem zweiten Weltkrieg war die Bevölkerung hier überwiegend deutschsprachig, das änderte sich schlagartig nach Kriegsausbruch 1939. Heute leben in den wenigen Häusern nicht einmal mehr 800 Menschen. Doch Luková und insbesondere die dort gelegene St. Georgs Kirche können sich seit etwa 10 Jahren einer unerwarteten wie wachsenden Popularität erfreuen. Die sogenannte Geisterkirche oder Ghost Church manövrierte sich weltweit zu einem unscheinbaren Highlight für Gruselfans. Den Weg dorthin zeichnet eine Kombination aus geschichtlichen Ereignissen, einer kreativen Idee und Idealismus.

Die marode St. Georgs Kirche liegt auf einer kleinen Anhöhe, der Putz bröckelt ab, es ist still. Wann sie genau erbaut wurde, ist nicht bekannt. Aus historischen Dokumenten lies sich rekonstruierten, dass 1352 ein Pfarrer im Dunstkreis Lukovás lebte und eine Kirche zu dieser Zeit schon bestanden haben muss. Das nächste erwähnenswerte Ereignis fand 1798 statt: Ein Großbrand, der die Kirche in Schutt und Asche legte. Der Wiederaufbau erfolgte relativ rasch. Dabei orientierte man sich nicht an der vorherigen Architektur, sondern wendete sich mit neuromanischen beziehungsweise neugotischen Stilelementen dem damals modernen Historismus zu. Kaum 150 Jahre später, 1968, stürzte das Dach von St. Georg ein. Der Schutz des heiligen Märtyrers, nach dem die Kirche benannt wurde, schien nicht auszureichen. Oder seine Pläne waren – blickt man in die heutige Zeit – andere. Nach dem Einsturz entstand die Auffassung unter den DorfbewohnerInnen, die Kirche unterliege einem Fluch, trage ein böses Omen. Ohne Dach und mit diesem Gefühl im Hintergrund, wurden Messen und Gottesdienste nicht mehr in, sondern außerhalb der Kapelle abgehalten. Staatliches Geld für eine Reparatur wurde von der sozialistischen und religionsskeptischen Regierung der Tschechoslowakei verweigert.

 

Die weiteren Jahre waren geprägt von Vandalismus, Verfall und Verwahrlosung. Niemand schien sich groß für das alte Gemäuer zu interessieren. Das änderte sich vor einigen Jahren als der junge Jakub Hadravá St. Georg für sich entdeckte. Ein Schlüsselmoment für das böhmische Dorf. Hadravá studierte im dritten Jahr an der Akademie für bildende Künste in Prag. Bei seinem Besuch in Luková nahm ihn der tragische Zustand und das Schicksal der Kirche mit. Ebenso keimte in ihm der Wunsch nach Rettung des historischen Ortes. Kurzerhand unternahm er im Geiste der Kunst einen Versuch, um Geld für eine Renovierung zusammenzutragen.

Um diese Vision umzusetzen, reiste er 2012 mit Mitstudenten nach Luková. Er positionierte die Kommilitonen stehend im Raum oder sitzend auf Kirchenbänken, bat sie für eine Weile still zu halten und legte über sie in Gips getränkte weißen Laken. Das Ergebnis sieht man heute in Form der weißen Kuttengestalten, die entfernt an die hellen Brüder der Ringgeister aus J.R.R. Tolkiens Verfilmung Der Herr der Ringe erinnern. In Summe handelt es sich um 32 Skulpturen, sie symbolisieren die vor 1945 ansässige deutsche Bevölkerung und deren Flucht. So ist St. Georg weniger ein reiner Gruselort zu verstehen. Sondern als einer, der von Krieg und Vertreibung erzählt und gleichzeitig die fortwährende Relevanz heiliger Orte hervorhebt.

Seit 2012 besuchten tausende Menschen Luková. Für den kleinen Ort ein Segen, denn mit den dagelassenen Spenden konnte mittlerweile ein neues Dach gebaut werden Kritische Stimmen meinen, der Gruselfaktor nehme dadurch ab. Hadravá ging es jedoch nicht um Effekthascherei, sondern um Rettung von Kulturgut und um Aufmerksamkeit für Orte, die langsam dem Verfall scheiden. Sein Handeln ist idealistisch. Zeigt, dass zwischen Tod und Düsternis neues Leben entstehen kann – mit einem Hauch Schaudern.


Autorin: Lea Katharina Nagel

 

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