GriechenlandMönchszone Athos
An den östlichen Ausläufern der griechischen Halbinsel Chalkidiki scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Oder ist es nur eine andere Zeitzone?
Hier liegt der Berg Athos, rundherum ist seit mehr als tausend Jahren Mönchsland. Ungefähr genauso lange hat das Land keine Frau mehr gesehen. Die Tore zu der heiligen orthodoxen Enklave werden streng geschlossen gehalten – Ausnahmen gibt es nur in gut begründeten Fällen und in Glaubensangelegenheiten.
Der Mikrokosmos von Athos liegt zwischen steilen Klippen, schroffen Hügeln, Pinienwäldern und Ägäis. In Sommermonaten scheint die Sonne hell und gleißend, Gischt spritzt an den grauen Felshängen hinauf, Möwen kreischen durch die Luft – Delfine begleiten die Boote. Für viele sind die drei Finger Chalkidikis ein Urlaubsparadies, für die knapp 2000 Mönche von Athos und wohl für einen Großteil der östlichen Christenheit ist hier das spirituelle Zentrum ihres Glaubens. Zwanzig Großklöster, zwölf Skiten und ein paar Einsiedeleien beherbergen die festen Bürger von Athos (die Mönche erhalten automatisch die griechische Staatsbürgerschaft). Mit den Felsen verwurzelt leben sie weitestgehend verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit, folgen einem strikten Tagesplan von 8 Stunden Arbeit, acht Stunden Gebet, acht Stunden Schlaf. Tagesablauf und Uhrzeit richten sich nach dem Sonnenstand, das Datum nach dem julianischen Kalender, was bedeutet – die Klöster „hinken“ dem gregorianischen mittlerweile 13 Tage hinterher. Natürlich stört das hier niemanden. Seien es Erledigungen auf dem Festland, Küchendienst oder die Honigernte. Sie alle haben geteilte Aufgaben, die das autonome Leben auf der Insel ermöglichen. Verwaltet wird Athos von einem Präfekten, Souverän der 335m2 ist der griechische Staat – ansonsten gewährt man vollständige Autonomie. Gezahlt wird mit Euro und es gibt eigene Nummernschilder für die Handvoll Fahrzeuge – die Anpassung an die Erfordernisse der modernen Bürokratie ist Athos gelungen.
Begonnen hat das monastische Abenteuer – wie der Forscher Dr. Andreas Müller schreibt –mit dem ersten Athoniten Petros im 9. Jahrhundert n. Chr: Es war ein Mann unbekannter Herkunft, Eidbrecher und Häftling in Syrien, bevor er sich auf die Suche nach göttlicher Wiedergutmachung machte. Mehr per Zufall wurde Petros zum Eremiten als er an der Küste von Athos strandete. Zurückgezogen in einer Höhle lebte er damals ganz alleine auf dem Gebiet der heutigen Mönchsrepublik. Hundert Jahre später gestaltete sich die Situation deutlich anders. Mittlerweile hatte der Berg Athos einen gewissen Ruf als Ort frommer Askese erlangt, eine beachtenswerte Anzahl an spirituell Suchenden hatte sich hier niedergelassen. Nach und nach entwickelten sich aus ihnen lose Zusammenschlüsse, man schloss sich in Gemeinschaften zusammen, feste Bünde mit Regeln entstanden und schließlich folgten die ersten Klostergründungen. Die religiöse Freiheit, die einst auf Athos herrschte, fand so bald ein Ende. Denn die Geschichte von Athos ist eine Geschichte von Machtstreben und Machtwechseln, von Patriarchen und dem Aufeinanderprallen von Vorstellungen eines „rechten“ Lebens. Von Besitz, Unterwerfung und dem idealen Mönchtum. Stets umkämpft, geschätzt und gesucht fror das Heiligtum langsam ein und im 20. Jhdt. drohte die Spezies der Athanoiten auszusterben. Trotz kirchlicher und staatlicher Bemühungen nahm die Anzahl an Mönchen rapide ab, zählte man 1903 noch 7432 Glaubensbrüder, waren es knapp 70 Jahre nur noch knapp über 1100.
Doch ohne klar erkennbaren Grund begannen die Zahlen ab 1972 erst langsam, dann merklich wieder zu steigen. Athos, als außergewöhnlicher Ort spirituellen Glaubens, feierte eine Renaissance. Verlassene Klöster wurden peu à peu wiederbelebt, der EU-Beitritt Griechenlands wirkte sich förderlich aus, 1988 folgte die Krönung mit der Auszeichnung als UNESCO-Weltkulturerbe. Nicht nur äußerlich sind die teils mit den steilen Felshängen verwobenen Klöster beeindruckend anzusehen. Sie besitzen einzigartige kirchliche Kunstwerke aus der byzantinischen und post-byzantinischen Zeit, teils aufwendig vergoldete Architektur, außerdem verfügen sie über umfangreiche Bibliotheken mit wertvollen Manuskripten – sowohl in weltlicher als auch geistlicher Hinsicht.
Stacheldraht und ein Wachzentrum trennen heute Athos von dem restlichen Griechenland. Im Grenzgebiet liegt der kleine Ort Ouranapoli, die Himmelsstadt. Täglich laufen hier Schiffe in den kleinen Hafen ein und wieder aus. Einige von ihnen steuern Dafni, den Hafen von Athos an, transportieren reisende Mönche, Waren und Pilger mit Visum. Viele von ihnen sind in der Hochsaison der Sommermonate bis unter die Decke besetzt mit Touristen und Pilgern. No mass tourismversichern die tüchtigen Agenturen auf ihren Schildern. Die je nach Tarif unterschiedliche Touren fahrenden Boote müssen alle einen Sicherheitsabstand von mehreren hundert Metern zur Insel halten – schließlich sind Frauen an Bord. Es ist die wohl beständigste Regel der Republik und katapultiert Athos tatsächlich in eine andere Zeitzone als das restliche Griechenland. Mit der Zeit geht man dennoch, rund um den 2033m hohen Gipfel des Heiligen Berges. Dank guter Finanzierung und guten Finanziers sieht man die reisenden Mönche in Ouranapoli weniger auf Eselskarren, als in einem Mercedes der Spitzenklasse. aber vielleicht ist das auch nur eine Sache der Hierarchie, wer weiß das schon. Spätestens nach dem Immobilienskandal rund um das Kloster Vatopedi im Jahr 2008 ist klar: Was hinter den verschlossenen Toren von Athos geschieht ist nicht immer heilig. Der Blick vom Meer aus ist es trotzdem.
Autorin: Lea Katharina Nagel