Reportage

Kanarische InselnCésar Manrique: Der Maestro Lanzarotes

Wohngemächer in einer Lavablase: Die heutige Stiftung César Manriques ©shutterstock.com/Jef_Wodniack

Die Kanareninsel Lanzarote ist durch ihr ganzjährig mildes Klima und als Sehnsuchtsort in den trüben Wintermonaten Mitteleuropas bekannt. Ihre kulturelle Entstehungsgeschichte reicht bis in das erste Jahrhundert v. Chr. zurück - doch die Insel wie wir sie heute erleben ist untrennbar mit dem Maler, Architekten, Bildhauer und Umweltaktivisten César Manrique verbunden. Ohne César Manrique wäre die Entwicklung eine andere gewesen, er ist ein wesentlicher Schlüssel für das Verständnis der lokalen Kultur.

 

Manrique wurde am 24. April 1919 als César Manrique Cabrera in der heutigen Hauptstadt Arrecife geboren und ist anschließend im dortigen Hafenviertel aufgewachsen. Der energetische wie neugierige Jüngling kam durch internationale Kunstmagazine seines Vaters früh mit Größen der Klassischen Moderne wie Pablo Picasso oder Henri Matisse in Kontakt. Davon inspiriert entwickelte er schnell einen eigenen kreativen Ausdruck, den er zunächst mit einem Studium in Bauingenieurswesen auf der benachbarten Insel Teneriffa schulte. Mit 23 Jahren wurden erste Werke in Arrecife ausgestellt. Nach dem Abschluss des Studiums zog Manrique nach Madrid, wo er an der Kunstakademie Escuela Superior de Bellas Artes de San Fernando fünf Jahre lang Malerei studierte, mit einem Meistertitel abschloss und sogleich eine Professur angeboten bekam. Lange Jahre sollte er in der spanischen Hauptstadt bleiben. Sein avantgardistischer Zugang zu Form und Ausdruck wurde jedoch maßgeblich durch vier folgende Jahre in New York geprägt, wobei man dabei dem modernen Expressionismus der New York School mit Vertretern wie Jackson Pollock oder Andy Warhols Popart eine bedeutende Rolle beimisst. Manrique sammelte Erfahrung, sein eigener Stil kristallisierte sich stärker heraus, Identität und Selbstverständnis wurden gefestigt.

Nach aufregenden, lehrreichen Zeiten im Ausland kehrte er 1966 im Alter von knapp 50 Jahren endgültig nach Lanzarote zurück. Ein ausgeprägter Freiheitsdrang, Ruhm, entsprechendes Selbstbewusstsein und wenig Scheu waren nun feste Bestandteile seines Charakters. Er lebte das Flair der 68er Jahre auf seine sehr eigene Art und Weise aus. Gleichermaßen kennzeichneten ihn ein besonders stark ausgeprägtes ökologisches Bewusstsein. Diese Wesenszüge trafen auf einen glühenden Lokalpatriotismus, der in den Jahren nach seiner Rückkehr in ambitioniertem Engagement für seine Heimatinsel mündeten. Lanzarote sollte – so wird er zitiert - zum „schönsten Ort der Welt“ werden. Manriques damaliges Gespür für die Entwicklung des Massentourismus erscheint dabei prophetisch und ist bei all seiner öffentlichen Arbeit wesentlich.

Ruhm und frühe Kontakte zur Inselregierung verschafften ihm eine Autorität in der Raum- und Bauplanung und später einen prägenden Einfluss, der bis heute verehrt wird, in Teilen jedoch auch als umstritten gilt. So ist es ihm mit zu verdanken, dass seit den 70er Jahren nur in der traditionellen Weise gebaut werden darf, Häuser nur zweistöckig sind, große Werbeflächen untersagt wurden. Orientierung an der klassischen Architektur Lanzarotes gepaart mit Umweltintegration und der Einbeziehung funktionaler wie moderner Elemente kennzeichnen seine architektonische Sprache. Gleichzeitig widmete er sich weiter der Malerei und Bildhauerei, wobei er neue Materialien wie Pappe, Stoff, Stahlbeton oder diverse Fundstücke verarbeitete. Bis zu seinem Tod handelte er schier unermüdlich: Die lokale Kunstszene wurde unterstützt, eine private Stiftung gegründet, verschiedenste bauliche Projekte umgesetzt – nicht nur auf Lanzarote sondern auch auf den benachbarten Inseln der Kanaren. Betrachtet man ihn privat, war er ein Lebemann: Es wurde auf ausschweifenden Partys getanzt, junge Konkubinen aus dem Ausland eingeflogen, man stand gerne im Mittelpunkt des Geschehens und gab sich der Freizügigkeit hin.

1992 fand das abenteuerlustige spannungsgeladene Leben ein Ende. Am 25. September kam der verehrte Maestro bei einem Autounfall unweit der Stiftung ums Leben.

 

Viele der Sehenswürdigkeiten auf der Insel stammen aus seiner Hand. Beliebt wie sehenswert ist die Fundación César Manrique, die zwischen der Hauptstadt Arrecife und dem größeren Ort Tahíche liegt. Sein einstiges Wohnhaus, seit 1982 als Stiftungsort genutzt, vermittelt ein nachvollziehbares Gefühl über sein Verständnis der Symbiose von Kunst und Natur gleichermaßen wie seiner Persönlichkeit. Das insgesamt 30.000 m2große Anwesen wurde im Zuge der Vulkanausbrüche 1730 mit Lava geflutet - ein Charakteristikum, dass der Virtuose zu nutzen wusste. Im Innenhof grüßen ausladende Skulpturen, das Erdgeschoss verfügt über Panoramafenster in das karge Land, fünf Lavablasen im Untergeschoss baute er in einem einzigartigen Ensemble in luxuriöse Wohngemächern um - durchbrochen von einem türkis-schimmernden Pool. Es ist beeindruckend und befremdlich.

Auch einer im spanisch-amerikanischen Krieg als Kanonenstützpunkt dienende Beobachtungsposten und heutiger Aussichtspunkt auf Meer und Nachbarinseln ganz an der Nordspitze Lanzarotes stammt aus seiner Hand – Mirador del Rio. Eine eingestürzte Lavaröhre Cueva de los Verdes und Höhlenlandschaft Jameos del Augua (jameo= Hohlraum) verwandelte in eine touristische Attraktion und florierendes Kulturzentrum mit Veranstaltungsmöglichkeiten. Im Museum für moderne Kunst in Arrecife, dem Museo Internacional de Arte Contemporáneo, hat er 1976 eine Bühne für das Wirken zeitgenössischer KünstlerInnen geschaffen. Die Liste lässt sich schier endlos weiter führen, wie ein Geist verfolgt César bei einem Besuch der Insel.

 

Er war ein Visionär wie er im Buche steht. Zweifellos kein einfacher Mensch, kritisierungswürdig und großartig zugleich. Manrique lässt sich in keine Schublade zwängen, kann keiner Kunstrichtung klar zugeordnet werden. Glaubt man, das Wesen zu kennen, offenbart er einen relativierenden Aspekt. Beherrschende Elemente seiner Ästhetik sind Gegenständlichkeit, Kontrast, Farbgewalt, Expression und Materialmix. Seine Architektur ist stets Synergie mit Natur. Er wird heute hauptsächlich noch in europäischen Galerien ausgestellt, dabei vornehmlich in Spanien, der Schweiz, Belgien und Deutschland. Durch sein Handeln, waren lange Zeit Betonkomplexe an den Stränden und massenabfertigende Urlaubskolonien fremd auf der Insel vor Nordafrikas Küste. Doch die aktuelle Entwicklung scheint in eine Richtung zu gehen, nicht zuletzt, da er selbst zu einem Tourismusmagneten avanciert ist. Nichts desto trotz ist dieser geographische, kulturelle und gegenständliche Kultstatus der Person César Manrique eine spannende wie nachdenklich stimmende Erfahrung.

Autorin: Lea Katharina Nagel

 

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