Reportage

SingapurSingapurs Garten Eden

101ha misst die gesamte Anlage der »Gardens« ©shutterstock.com/Elena Ermakova

Die Regierung in Singapur lies am Nationalfeiertag im Jahr 2005 den Plan über ein ambitioniertes Projekt verlauten: Ein riesiges Naherholungsgebiet in Form eines Botanischen Gartens soll geschaffen werden - das Ergebnis nennt sich »Gardens by the bay«, ein idealistisches Science-Fiction Paradies. Willkommen im Garten Eden!

 

Vor 17 Jahren, als nachhaltige Stadtentwicklung und städtische Klimawandelanpassung in vielen globalen Megastädten zögerlich als entwicklungsrelevant eingestuft wurde, preschte Singapurs Premierminister Lee Hsien Loong am 9. August 2005 mit einem visionären Vorhaben vorweg. Als Teil der langfristigen Strategie »Eine Stadt im Garten« wurde der geplante Bau einer gigantischen Gartenlandschaft von 101ha der einheimischen Bevölkerung wie Weltöffentlichkeit kommuniziert. Zur Einordnung: Als Inselstaat ist Singapur nur knapp 700km2 groß, beherbergt 5.5 Mio. EinwohnerInnen und rangiert unter den Top-TouristInnenzielen weltweit. Fläche ist demzufolge ein äußerst wertvolles Gut.

Just verlautet, wurde eifrig an der Umsetzung gearbeitet. 2006 übergab die Regierung die gestalterische Ausarbeitung im Wesentlichen an drei Unternehmen: Die britischen Büros von Grant Associates und Gustafson Porter deckten den landschaftsarchitektonischen Teil ab, während das – ebenfalls britische Unternehmen –  Wilkinson Eyre Architects für die Planung von Gewächshäusern beauftragt wurde.

Im gesamten Realisationsprozess und dem zukünftigen Betrieb der entstehenden Anlage wurde und wird darauf geachtet auf erneuerbare Energien zu setzen. Beziehungsweise kreislaufartig zu wirtschaften. Die »gardens by the bay« verkörpern damit im Wesentlichen eine zukunftsorientierte Wertekultur. Versinnbildlichen die Erhöhung der menschlichen Lebensqualität in Einklang mit der Natur. Und sind dabei äußerst ansehnlich.

 

Nach der Fertigstellung wurden im Rahmen einer feierlichen Zeremonie Ende Juni 2012 die Tore für die Allgemeinheit geöffnet. Seither strömten Menschen jedweder Coleur und Herkunft in Singapurs Vorstellung des irdischen Paradieses. Vor dem Ausbruch der Corona Pandemie, Ende des Jahres 2019, verzeichnete man einen jährlichen Spitzenwert von 13 Mio. BesucherInnen.

Hauptattraktionen sind die weltweit größten klimatisierten Gewächshäuser »Flower Dome« und »Cloud Forest«, sowie das Gebiet rund um die künstlichen Baumerscheinungen der »Supertrees«. Die einzelnen Konstruktionen sind in außergewöhnlich effizienter Weise durch einen Kreislauf natürlicher Energiegewinnung und -nutzung miteinander verbunden.

 

Der »Flower Dome«

 

Hinaus aus Singapurs tropischer Luft, „sinken“ die Temperaturen in dem futuristischen Gebäude auf 20-25°C. Simuliert wird das mild-trockene Klima der Mittelmeerregionen bis hin zu leichten Wüstenlandschaften. Im Fachjargon auch alssemiaridbezeichnet. Im Nu hat man Südostasien verlassen. Die florierende Vegetation setzt sich aus Dattelpalmen, Affenbrotbäumen, Agaven, Kakteen und einem 1000-jährigen Olivenbaum zusammen, der eigens aus Spanien eingeflogen wurde.

Saisonal legen die BetreiberInnen thematische Schwerpunkte, wie beispielsweise die »holländische Tulpenblüte«. Die 1.28ha große Anlage, die etwas größer ist als das Schwestergebäude »Cloud Forest«, wurde im Jahr 2015 als das „größte gläserne Gewächshaus der Welt“ in das Guiness Buch der Rekorde aufgenommen.

 

Im »Cloud Forest«

 

Mit 0.78ha ist das benachbarte Gebäude in Größe und Präsenz nicht minder beachtlich. Hier gedeihen Pflanzen der tropischen Bergregionen, die in freier Natur sonst in Höhen von 1000-3000m Wurzeln schlagen. Eine 35m hohe Turmkonstruktion stimuliert das Gefühl der luftigen Höhen, ihr entspringt ein spektakulärer, 30m hoher Wasserfall. Die für diese Landschaft typischen Gewächse sind u.a. rot blühende Bromelien, Farne, Bergorchideen und die auch in heimischen Wohnzimmern anzutreffenden Flamingoblumen. Doch der angepflanzte Regenwald, entfaltete und entfaltet seine wahre Größe erst im Laufe der Zeit. Ein natürlicher Prozess.

Weniger natürlich ist die aufgezeichnete Geräuschkulisse aus Vogelgezwitscher, Affengebrüll und Blättergeraschel - jedoch nicht auf Kosten eines authentischen Gefühls. Der mit Nebel erfüllte lichtdurchflutete Bau entführt in all seinen Möglichkeiten.

 

Die Giganten: »Supertrees«

 

Das wohl bekannteste Motiv der »Gardens« sind die gigantischen »Supertrees«. Sie tragen ihrem Namen gebührend Rechnung. Es handelt sich um Beton-Stahl-Konstruktionen, 18 an der Zahl mit Höhen zwischen 25-50m. Der Beton für den Bau wurde von Holcim Singapur, einem lokalen Ableger des Schweizer Herstellers Holcim produziert. Dafür verwendete man möglichst wenig Sand, eines gefährlich knapper werdenden Rohstoffs, und arbeitete stattdessen mit Abfällen, die zu einem Großteil aus der Schiffsindustrie stammten. Die futuristischen Superbäume wurden vertikal mit über 200 seltenen Pflanzenarten begrünt, darunter Orchideen, Moosen, Farnen, Epiphyten und sich rasant schlängelnden Würgefeigen.

Ein 128m langer Steg verbindet die einzelnen Giganten miteinander, schafft aus ihnen eine Einheit. Im Inneren sind sie mit Treppen und Liften erschlossen. Die Abendstunden sind eine besonders beliebte Tageszeit für eine Besichtigung der Supertrees. Neigt sich die Sonne dem Horizont entgegen, pulsieren sie in grellen Neonfarben. Diese beeindruckende Lichtshow lässt die Szenerie wie von einem anderen Planeten wirken. Betrieben mit äußerst moderner klimaneutraler Technik – mitunter aus Photovoltaik und Regenwassernutzung – trifft Singapur den visionären Zeitgeist.

 

Das riesige Gelände der »Gardens by the bay« hat noch weitaus mehr zu bieten, nicht minder imposant. Singapurs Regierung will nicht nur die einheimische Bevölkerung ansprechen, sondern schickt eine Botschaft an die Welt. Auch in Megastädten ist es möglich in Einklang mit der Natur zu leben, Diversität und Schönheit zu erleben, ohne Raubbau an der Erde zu betreiben. Natürlich relativiert sich die ausschließlich romantische Sicht in Anbetracht der Besucherströme und der darum errichteten Entertainment- und Versorgungsstruktur.

Doch: Die Idee, Umsetzung und der Betrieb sind zweifellos einfach sehenswert wie inspirierend.

 

Autorin: Lea Katharina Nagel 

 

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