Reportage

VietnamIm Schutz des Drachen

Aus dem Alltag verschwundene Dschunken sorgen für ein nostalgisches Flair ©shutterstock.com/Nickolay_Stanev

Die Ha Long Bucht liegt im Norden Vietnams im Golf von Tonkin, einem Ausläufer des südchinesischen Meeres. Eine Bootsfahrt durch das paradiesische Gewässer der Zuckerhüte zählt zu den Höhepunkten für Vietnam Reisende. Seit die UNESCO 1994 ein 434km2großen Teil zum Weltkulturerbe erklärt hat, kann die Ha Long Bucht sich vor internationalen Besucherscharen kaum retten.

 

Wie auch bei anderen Orten des Massentourismus stellt sich auch bei der Ha Long Bucht nicht selten die Frage des Meidens. Auf der Suche nach Authentizität und insbesondere im Angesicht der zunehmenden Gewässerverschmutzung des Golfes, kann Zwiespältigkeit ein begleitendes Gefühl sein. Die Ha Long Bucht zählt jedoch zu denjenigen Orten, die ihren Zauber nicht gänzlich verloren haben. Werte wie Naturschutz, kultureller Respekt und Akzeptanz von Grenzen müssen nicht abgelegt werden. Trotz Menschenaufläufen ist es ein einmaliges Erlebnis dieses Naturschauspiel mit eigenen Augen sehen zu dürfen. Dankbarkeit darf einen Besuch begleiten. Die Bucht mit dem vietnamesischen Namen Vịnh Hạ Long erstreckt sich über eine Gesamtfläche von 1500km2, 1996 teils dicht bewachsene Karstinseln und Felsen ragen aus dem grünlich blauen Wasser. Populäre Legende und wissenschaftliche Forschung klaffen bei ihren Erklärungen zur Entstehung nachvollziehbarer Weise auseinander. Zunächst zu einem Besuch:

Üblicher Ausgangspunkt für Touren ist Ha Long Stadt. Als Zentrum der Region verfügen die beiden Stadtteile Hong Gai und Bai Chay mittlerweile über ein umfangreiches Übernachtungs- und Restaurantangebot. Von ihrem ursprünglichen Charakter ist dadurch leider wenig erhalten geblieben, lediglich Hong Gai weist mit der ein oder anderen kleinen Sehenswürdigkeit noch eine lokal-traditionelle Kultur auf. Ansonsten sollte man sich auf eher charmelose Bettenburgen und „Tourismuskultur“ einstellen. Das Angebot an geführten Besichtungen ist vielfältig, wobei es durch Gespräche mit BootsführerInnen und die sogenannten Open-Tour Programme die Möglichkeit gibt, eine Spur Individualität einfließen zu lassen. Ganz auf eigene Faust lässt sich das Areal nicht erkunden und das ist auch gut so: Die Regierung kontrolliert Routen und Tourismusströme der Motorboote, um das ohnehin stark geschwächte Ökosystem nicht noch mehr zu belasten. Inzwischen gibt es die Möglichkeit von Kajaktouren, die mit ein bisschen Übung und ruhiger See auch Laien ein reizvolles Erleben bieten.

Die riesigen Felsen der Ha Long Bucht sind teilweise mit für Vietnam charakteristischem dichten Dschungel bewachsen. Im Strom der regelmäßigen Gezeiten, legt Ebbe nicht nur Strände frei, sondern erleichtert neben spektakulärer Sicht auch die Begehung einer Hauptattraktion: Durch Jahrtausende lange Verwitterungsprozesse hat sich das Wasser in das Innere der tropfenförmigen Steinriesen gefressen und prächtige Höhlen und Grotten geschaffen. Allen voran gilt die 10.000 m2 große Hang Sửng Sốt Höhle als Vorzeigespot. Die sogenannte »Höhle der Überraschung« liegt auf der westlichen Bo Hon Insel und verfügt über wirklich faszinierende Felsformationen. Unzählige Stalagmiten und Stalagtiten übersähen die Innenwände. Bunte Lichter und die Erzählungen der Guides sorgen für eine entsprechende Stimmung. Staunen ist angesagt.

 

Erklärungsmodelle:

 

Zur Entstehungsgeschichte gibt es zwei sich - je nach Quelle – ergänzenden Legenden. Zusammengefasst könnte es in etwa so gewesen sein: Einst stieg aus dem Himmel eine Drachenmutter mit ihren Kindern auf das Land herab. Gesandt wurde sie auf Befehl des Jadekaisers, dem daoistischen Hauptgott, und sollte den VietenamesInnen gegen chinesischen Invasoren zur Hilfe kommen. Die Drachenmutter spie gigantische Perlen aus, die sich sogleich in Land verwandelten und einer Zitadelle gleich Schutz vor den Eindringlingen boten. Beim Untertauchen überschwemmte der Drache die Steinfläche und zog mit seinem Schwanz tiefe Furchen in das Land. Die Ha Long Bucht gilt als ihr Landeplatz, der mitgenommene Nachwuchs soll in der nordöstlich benachbarten Bucht Bái Tử Long niedergegangen sein. Der vietnamesische Name der Bucht lautet übrigens Vịnh Hạ Long, was übersetzt soviel bedeutet wie »Bucht des untergetauchten Drachen«.

Natürlich teilt die Wissenschaft diese Legende nur bedingt und sorgt für eine nicht weniger erstaunliche Erklärung. Geophysikalische Untersuchungen gehen davon aus, dass es sich um Muschelablagerungen aus dem Urmeer Tethys handelt. Im Zuge der sogenannten Alpidischen Orogenese wurden sie vor geschätzen 30-50 Mio. Jahren freigelegt. Vor 40.000 Jahren, als die letzte Eiszeit den Meeresspiegel anhob, wurde das Kalksteinplateau geflutet. Bis heute andauernde Witterungsprozesse sind für das charakteristische Aussehen verantwortlich.

 

Die Geschichte des Drachens, der bis heute in den Tiefen schlummern soll, passt zum etwas nostalgischen Zauber Ha Longs. Aus dem Alltag verschwundene Dschunken bevölkern das Gewässer, emsige Kinder starten Verkauffsoffensiven mit Muscheln und allerlei Kleinkram, die Häuser von wenigen noch bewohnten Wasserdörfern schaukeln sachte auf ihren Pontos hin und her. Wie die Zukunft dieser anderen Welt aussehen wird? Wer weiß, vielleicht wird die Drachenmutter noch einmal aktiv.


Autorin: Lea Katharina Nagel

 

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