WissenGleich vor dem Gesetz?

Straßenszene aus der ostindischen Stadt Chennai © picture alliance/DUMONT Bildarchiv/ Georg Knoll

Das Kastensystem ist wesentlich, um die indische Gesellschaft zu verstehen. Ein Relikt aus der Vergangenheit, das fortwährend seine Schatten über die Gleichheit der indischen Bevölkerung wirft. 

 

Hintergrund

 

Das Kastensystem Indiens ist religiös begründet, teilt die Gesellschaft in verschiedene soziale Gruppen ein. Eng damit verbunden sind Rechte und die Freiheit des Einzelnen im Alltag. Die Zugehörigkeit ist meist mit der Geburt vorherbestimmt, ein Wechsel meist nur per Wiedergeburt möglich. Um das alltägliche Leben in Indien zu verstehen, ist das Verständnis um das Kastensystem unumgänglich.Das Wort »Kaste« stammt vermutlich ursprünglich aus dem Lateinischen, castus bedeutet rein.

Es ist eine hierarchische Einteilung, ethnologisch wie soziologisch von hoher Bedeutung. Sein Fundament ist der Hinduismus. Aufgrund dessen räumlicher Verbreitung, finden sich Kasten nicht nur im Großland Indien, sondern auch auf Bali,Sri Lanka und in Nepal – dort jedoch nicht so ausgeprägt.

Grundsätzlich baut die Gesellschaftsform auf fünf Gruppen auf: Vier davon sind die offiziellen Kasten, der niedrigste Stand, die Unberührbaren,werden je nach Klassifikation gar nicht als Kaste bezeichnet. Die vier Hauptkasten tragen die Bezeichnung Varnas. »Varna« bezieht sich nach einer theoretischen Auffassung auf die Hautfarbe. Denn, so der Glaube: Je heller die Haut, desto höher der Wert eines Menschen. Dies erkläre demnach auch den natürlichen Respekt, die natürliche Unterwerfung die in der Vergangenheit Eroberern, Einwanderern und heute manchmal TouristInnen entgegengebracht wird. Heute ist der Ansatz umstritten, teils widerlegt. Ferner bei einer Betrachtung der Kastenmitglieder nicht beobachtbar.

Die Varnas werden nochmals untergliedert in sog. Jatis (Untergruppen). Sie sind in der gelebten Realität Indiens wichtig. Da es davon jedoch hunderte gibt, ist eine einfache Übersicht schwer wie komplex. Etymologisch kann hier der Bezug zu dem „Geburtsrecht“ erkannt werden: Jan= geboren werden.

 

Das System 

 

  1. Brahmanen: Hierzu zählen Priester, Gelehrte & die intellektuelle Elite
  2. Kshatriyas:Krieger, hohe Beamte & in der Vergangenheit das Fürstentum
  3. Vaishyas:Landwirte, Landbesitzer, Händler & Kaufleute
  4. Shudras: Tagelöhner, Knechte, Diener, Pachtbauern & Handwerker

 

Dalit/Paria („Die Unberührbaren“): Hierzu zählen die ärmsten der Armen Indiens. Oft im Alltag diskriminiert und gemieden, verrichten sie die niedrigsten, nicht minder demütigsten Arbeiten innerhalb der Gesellschaft. Die deutsche Übersetzung ist gelebte Realität. Dalits werden als so schmutzig wahrgenommen, dass es strikt gemieden wird, sie zu berühren. Oftmals sind sie das aufgrund der zugeteilten Arbeitsaufgaben auch – unfreiwillig.

Wie streng das Kastensystem ausgelebt wird, ist abhängig von der jeweiligen Region. So gibt es Orte, an denen zum Beispiel Hochzeiten oder gemeinsame Mahlzeiten zwischen Angehörigen verschiedener Klassen undenkbar erscheinen. In anderen Regionen wiederum lockern sich diese Reglementierungen peu à peu. Überall ist die die Situation für die Unberührbaren jedoch besonders dramatisch. Von ihnen gibt es ca. 300 Mio. in ganz Indien.Zu den Ihre Funktion: Sie müssen Straßen  fegen, Latrinen (Trockenklos) entleeren, huschen mit den Exkrementen der anderen BürgerInnen durch die Straßen. Eigentlich ist dies mittlerweile per Gesetz verboten. Praktische Umsetzung findet es kaum. Denn die höheren Stände profitieren von diesem System gnadenloser Segregation und wollen auf Privilegien nur ungern verzichten. Zu diesen zählen auch, dass Frauen aus niedrigen Kasten sexuell misshandelt werden „dürfen“. Täter kommen meist ohne jegliche Strafen davon. Ein absurder wie alarmierender Umstand.

 

Hoffnung

 

Ein Hoffnungsschimmer für ein Aufbrechen des diskriminierenden Kastensystems sind einerseits langsam – mitunter sehr langsam – sich vollziehende Demokratisierungsprozesse. Wie sich aber anhand der Anwendung des Gesetztes bezüglich der Toilettenarbeiten durch Unberührbare zeigt, liegen Formalität und Realität weit auseinander.

In den vergangenen Jahren regte sich glücklicherweise mehr und mehr Widerstand aus den Reihen der Bevölkerung. Dies auch durch höhere Kasten, die sog. »Schutzpatrone«. Ein Beispiel mit Vorbildcharater ist die Menschenrechtsorganisation Safai Karmachari Andolan (SKA). Sie setzt sich seit Jahren für die Rechte der Unberührbaren ein. Zentraler Fokus liegt auf der Beendigung der demütigenden öffentlichen Latrinenentleerung.

Das Kastensystem. Ein historisch-religiöses Relikt mit fortwährend nicht zu unterschätzendem Einfluss. Es bremst die Moderne Indiens.

Autorin: Lea Katharina Nagel 

 

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