Reportage

AfrikaBunt und subversiv: Kangas

Im Alltag allgegenwärtig - Die bunten Tücher gibt es für umgerechnet 2-3€ ©Shutterstock.com/Magdalena_Paluchowska

Wer Ostafrika, insbesondere Kenia oder Tansania bereist, wird ihnen ständig begegnen - den Kangas. Das traditionelle Baumwolltuch ist allgegenwärtig, ein buntes Kulturgut, das weit mehr ist als ein hübsches Accessoire.

 

Die farbenfrohen Mustertücher sieht man vor allem an Frauen und Mädchen, ihre Verwendung ist denkbar vielseitig – als Rock, Kleid, Kopftuch oder als Tragetuch für Babys. Man trägt sie im Alltag, transportiert Einkäufe, kleidet sich in ihnen zu besonderen Festtagen. Gerne werden sie als Geschenk oder als kleine Aufmerksamkeit innerhalb des Bekannten- und Familienkreises dargebracht. Damit die Kombination leichter ist, werden Kangas meist paarweise beziehungsweise in Sets verkauft, sie kosten grob zwischen 6000-8000 TSH, was umgerechnet ungefähr 2-3 € entspricht. Obwohl die Ausführungen an Mustern und Farben grenzenlos ist, sind die 1,5 x 1m großen Baumwolltücher nach einem einheitlichen 3-gliedrigen Schema aufgebaut.

Jedes Kanga hat einen gemusterten Rahmen (pindo) und einen einfarbigen oder ebenfalls gemusterten Innenteil (mji) auf dessen unterer Längsseite ein Spruchband (jina) aufgedruckt ist. Dieser Innenteil ist – wie wir später sehen werden – das Wesentliche.

 

Die Geschichte der Kangas begann Mitte des 19. Jahrhunderts auf Sansibar direkt vor der Küste Tansanias. Man sagt: Einige Frauen hatten damals die Idee mehrere lesos (Taschentücher, die portugiesische Händler aus Indien mit auf die Insel gebracht hatte) zusammenzunähen. Das daraus entstandene Patchworkdesign erinnerte aufgrund der vielen unterschiedlichen Muster an das Gefieder eines Perlhuhns – so erhielten sie ihre Bezeichnung. Kanga ist Kiswahili für »Perlhuhn«. Aufgrund ihrer vielseitigen und praktischen Einsetzbarkeit verbreiteten sie sich rasch von der Insel aus auf das ostafrikanische Festland.

 

 

 

Die Geschichte der Kangas ist eine Geschichte der Kommunikation, aber auch eine von Sittenbruch und (weiblicher) Emanzipation. Bis heute werden sie nicht aufgrund der Formen und Farben ausgewählt, sondern aufgrund ihrer Botschaft:

Schon damals wurden bestimmten Mustern wie einer Palme, einer Lotusblume oder stilisierten Cashewnüssen von den Frauen aber auch von Sklav:innen eine Bedeutung zugeschrieben. Das konnte Fruchtbarkeit sein, Reichtum, Freiheit, ein Statussymbol oder eine Liebeserklärung. Dinge, die man nicht offen aussprechen konnte oder sollte wurden in eine künstlerische message verpackt. In der stark hierarchisch-muslimisch geprägten Gesellschaft Ostafrikas schickte es sich nicht bestimmte Dinge offen zu äußern. Erst recht, wenn man aus einem niedriger angesehenen Gesellschaftsstand kam. Kangas boten so die Möglichkeit bestimmte Tabuthemen in die Gesellschaft einzubringen. Eine Kommunikation über Symbole, das Setzen von statements, das sich Anfang des 20. Jahrhunderts nochmals entwickelte und deutlichere Formen annahm: Man begann direkt Worte beziehungsweise Sprüche auf Swahili aufzudrucken, die jinas.

 

Diese Spruchbänder wurden als alltägliches Kommunikationsinstrument immer wichtiger, es sind Sinnsprüche, oftmals Sprichwörter und manchmal spitz formulierte Kurzsätze, die sich zu einer eigenen Sprache gewandelt haben.  So werden seit fast 150 Jahren auf diese Weise Wünsche geäußert, Ratschläge gegeben oder gesellschaftskritische und politische Ansichten verpackt.

Die Schwiegermutter in spe kann so der zukünftigen Ehefrau eine kleine Belehrung geben wie eine gute Ehe zu führen sei, oder wie die Kindererziehung aussehen sollte. Ebenso ist es möglich, dass eine Nachbarin so ihr Missfallen über die „Umtriebigkeiten“ der Nachbarsfrau äußert oder ein Ehemann ein Kanga an seine Ehefrau verschenkt und sich mit einem passenden Sprichwort für Unpässlichkeiten entschuldigt.

 

  • njia mwongo fupi (»Der Weg des Lügners ist kurz« im Sinne von »Lügner haben kurze Beine)
  • Nitazidi kumpenda mpate kusema sana (»Tratscht ihr nur. Je mehr ihr euch die Mäuler zerreißt, umso mehr werde ich ihn lieben«)
  • »Kuleya mimba si kazi – kazi ni kuleya mwana« (»Schwanger zu werden ist keine Arbeit – die Arbeit ist es, das Kind großzuziehen«)

 

Frauen kaufen sie bewusst oder sie werden bewusst verschenkt, kaum ein Kanga wird „zufällig“ getragen. In ihrem Inhalt - ob kritisch, wohlwollend, lustig oder philosophisch – wird oft etwas durch die Blume ausgedrückt. Jedes Tuch scheint anders zu sein, etwas über Lebenseinstellung, Religion, sozialen Status aber auch Selbstbewusstsein auszudrücken. Kangas sind zum Kultobjekt afrikanischer Frauen avanciert. Farbenstark und prächtig symbolisieren sie als Kulturgut sowohl Konservatismus als auch Innovation.


Autorin: Lea Katharina Nagel

 

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